„Entferne alles, was Pyro ist“

BERUFUNGSPROZESS Das Landgericht Hamburg verhandelt erneut den Fall eines mutmaßlichen Rauchbombenlegers. Das Attentat sollte St.-Pauli-Fans treffen

„Es gibt keine Nachweise, dass er etwas mit den Bomben zu tun hat“

ANWALT DES ANGEKLAGTEN

Ein anonymer Telefonanruf, verdächtige SMS und ein schweigender Angeklagter: Es waren vor allem Indizien und Zeugenaussagen, mit denen sich das Landgericht Hamburg am Freitag im Berufungsverfahren gegen einen mutmaßlichen Rauchbombenleger beschäftigte.

Vor knapp zwei Jahren waren im Stadion des Hamburger SV unter drei Sitzschalen des Blocks 14B mehrere Rauchbomben entdeckt worden, die mithilfe eines Zeitzünders exakt zwei Minuten vor dem Anpfiff des Derbys gegen den FC St. Pauli hochgehen – und die Tribüne mit den Gästefans in schwarz-weiß-blaue Rauchschwaden, den Farben des HSV, hüllen sollten.

Für dieses geplante Attentat wurde ein damals 22-Jähriger verantwortlich gemacht, der mit einem Komplizen die Bomben platziert haben soll. Das Amtsgericht Altona hatte ihn deshalb zu 14 Monaten auf Bewährung verurteilt. Mit dem Urteil waren jedoch weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung einverstanden. Während die Staatsanwaltschaft ein höheres Strafmaß forderte, verlangte der Anwalt des Angeklagten Freispruch: „Es gibt keinen Nachweis dafür, dass er etwas mit den Bomben zu tun hat“, sagte der Anwalt am Freitag. Der Beschuldigte selbst wollte keine Aussage machen.

Zum Prozessauftakt des Berufungsverfahrens wurden noch einmal zahlreiche Zeugen verhört, die bereits im ersten Verfahren ausgesagt hatten, darunter der Leiter der Stadionreinigung, der am Tattag „zwei verdächtige Personen“ beobachtet hatte, und daraufhin Alarm schlug. Der Anwalt des Angeklagten bezweifelte, dass der Mann tatsächlich habe erkennen können, ob es sich bei den Personen um junge Männer handelte, wie dieser es am „Bewegungsablauf“ erkannt haben will.

Auch das Vorgehen der Fanbeauftragten des HSV, unter ihnen Vorstand Oliver Scheel, wurde beleuchtet. Nach Bekanntwerden des Fundes waren diese aufgrund mehrerer Indizien, unter anderem durch einen anonymen Anrufer, der den Angeklagten der Tat beschuldigte, auf den Verdächtigen gekommen. Doch wer den Anruf entgegengenommen hatte, konnte keiner der Zeugen mehr beantworten.

Als sicher gilt, dass sich der Angeklagte am Tag des Vorfalls im Stadion aufgehalten hat. Ihm war von der Fanbetreuung ein Schlüssel ausgehändigt worden, den nur „vertrauenswürdige Fans“ bekommen. Angeblich, um im Fanraum in der Arena ein Megafon zu reparieren. Der Angeklagte ist Mitglied der Ultra-Vereinigung „Poptown“, die dort Fan-Utensilien einlagert.

Dass im Umfeld des Verdächtigen Pyrotechnik ein Thema war, konnten die Ermittler bei der Durchsuchung seines Handys feststellen: „Bitte entferne alles, was Pyro ist, aus dem Fanraum“, hieß es dort in einer von ihm geschriebenen Nachricht.

Ein Urteil wurde am Freitag noch nicht gefällt, zwei weitere Verhandlungstage sind angesetzt.  BENJAMIN KNAACK