Tag der Deutschen Vielfalt

Editorial Sie schreiben, wir lesen: Warum wir 20 geflüchtete Autorinnen und Autoren eingeladen haben, zum Einheitsfeiertag zu schreiben

von Georg Löwisch

Neulich im Juni saß auf einmal eine Frau aus Somalia neben dem Bundespräsidenten. Das Protokoll hatte Asma Abubaker Ali eine Rolle zugedacht, und sie sagte damals, die Ankunft in Deutschland sei der wichtigste Tag ihres Lebens gewesen. Die Inszenierung wurde hernach so einhellig gefeiert, als hätte Joachim Gauck gerade einen Rittberger rückwärts vollführt. Es war ein Indiz dafür, dass Geflüchtete sich an prominenter, an entscheidender Stelle so gut wie nie äußern können, dass sie dort keine Stimme haben.

Seit Juni sind Tausende Menschen nach Deutschland geflüchtet. Das Fernsehen zeigt sie und die Zeitungen und Zeitschriften auch. Reporter nehmen ihre O-Töne auf, die gesendet und gedruckt werden, wenn noch Platz ist für eine Flüchtlingsschnulze zwischen Helfern und Schleppern, Seehofer und Orbán und dem Chef des Städte- und Gemeindebundes. Denn im Vordergrund steht, ob wir, die Altbürger, die schon immer oder schon länger in Deutschland leben, überfordert sind. Ob wir es schaffen.

Wir Altbürger reden offenkundig am liebsten über uns Altbürger. Wir tun das so ausgiebig, dass ein distanzierter Blick auf die Menschen entsteht, die neuerdings da sind. Diese Distanz schadet, das zeigt die Geschichte der Wiedervereinigung. Wer in Westdeutschland den Osten nur von fern gesehen hatte, sprach über ihn in Klischees. Und wer die Wessis nur als Marketender erlebt hatte, schimpft nur über sie. So ist es bis heute, 25 Jahre später.

Die neue Distanz, die zwischen alten und neuen Deutschen, wollen wir verringern. Deshalb haben wir Menschen, die aus neun Ländern stammen, gebeten, sich auf den ersten 16 Seiten der taz.am wochenende zu äußern. Sie stammen aus Algerien, Iran, Kamerun, Moldawien, Russland, Syrien, Pakistan, Palästina und Tunesien. Sie sind noch nicht lange hier. Es sind Kolleginnen und Kollegen. Sie schreiben auf den folgenden Seiten, die Fotografen und ein Illustrator bebildert haben. Über private Kontakte, über journalistische Netzwerke und Organisationen haben wir sie eingeladen.

Am Tag der Deutschen Einheit wird viel von Flucht die Rede sein, von der 1989 und der heute. Würdenträger werden fragen, ob uns nach der Wiedervereinigung wieder eine Vereinigung bevorsteht. Ob wir es schaffen.

In der taz.am wochenende begehen wir den Feiertag anders. Wir feiern, dass wir Autorinnen gewonnen haben wie Najet Adouani, die uns mitnimmt auf einen Spaziergang in den Berliner Humboldthain, in dem ein Olivenbaum seine Arme öffnet. Dass uns der Schriftsteller Aboud Saeed seinen verblüfften Blick auf Berlin schenkt. Sie alle schreiben. Und wir lesen und feiern: den Tag der Deutschen Vielfalt.