Unbehagen, ungebrochen

TV Was tun, wenn’s knallt? „Unterm Radar“ (20.15 Uhr, ARD) kreist um Ermittlungennach einem Terroranschlag in Berlin. Verzichtet dabei aber leider auf Uneindeutigkeiten

Explodiert, mitten in der Hauptstadt Foto: Nik Konietzny/WDR

von Jens Müller

Madrid, London, Paris – die Befürchtung, dass es auch in Berlin früher oder später einmal knallen könnte, ist so abwegig nicht. Ist in der Fiktion schon sehr aktuell. Die US-Serie „Homeland“ zeigt Berlin gerade als internationale Schaltzentrale des Terrors. In Kreuzberger Wohnungen basteln Islamisten ihre Bomben – und die CIA lässt sie, zusammen mit den Islamisten, lieber da hochgehen als an ihrem Bestimmungsort. Während die ARD heute Abend in „Unterm Radar“ einen Selbstmordattentäter einen voll besetzten Bus der Linie 200 in die Luft jagen lässt.

Spiegel der Befindlichkeiten

Das Fernsehen als Spiegel der – unterschiedlichen – Befindlichkeiten. In „Homeland“ kündigt Martin Wuttke als deutscher Geheimdienstbürokrat den fürsorglichen Amerikanern die – geheime, weil nicht mit dem deutschen Verständnis von Rechtsstaat und Datenschutz konforme – Zusammenarbeit, als diese bekannt zu werden droht.

In „Unterm Radar“ müsste genau dieser Rechtsstaat eine unbescholtene deutsche Bürgertochter davor schützen, von BKA-Leuten entführt, gefoltert und an einem geheimen Ort weggesperrt zu werden. Müsste. Denn auch hier gibt es eine geheime Zusammenarbeit, die Deutschen überlassen das Mädchen den Amerikanern, und die besorgen, nach der Extraordinary Rendition, das Waterboarding in ihrer polnischen Black Site.

Aber der Reihe nach. Das will nämlich erst herausgefunden werden, gegen alle dramaturgisch gebotenen Widerstände. Von der verzweifelten Mutter, die, zum Glück des Films, nicht von Veronica Ferres gespielt wird und nicht von Maria Furtwängler, sondern von Christiane Paul. Der nimmt man die Kammergerichtspräsidentin in spe gerne ab. Die Karrierejuristin, die nun auf nichts hofft als auf ein Wiedersehen mit der Tochter, von der sie, wie sie feststellen muss, wenig weiß. Etwa von der Art ihres Interesses am Islam. Von der sie aber, trotz aller Verdachtsmomente, nicht als Terroristin denken will.

Sie wird, wie gesagt, recht behalten. Natürlich. Leider. Denn der Rechtsstaat besteht doch erst da seine Bewährungsprobe, wo er seine Privilegien dem Schuldigen gewährt, dem er seine Schuld allen rechtsstaatlichen Restriktionen zum Trotz unter deren strikter Beachtung beweisen musste. Und wäre das nicht ohnehin der viel spannendere, komplexere, zeitgemäßere Film, in dem die Mutter, die ihre Tochter sucht, eine Terroristin fände?

Die ARD präferiert einstweilen eine Heldin als Identifikationsfigur, die das allgemeine deutsche Unbehagen ganz ungebrochen verkörpern kann. Ach: NSA, Guantánamo, Geheimgefängnisse, und nicht einmal in den eigenen vier Wänden sind wir vor den Kameras des Überwachungsstaates noch sicher! „Sie dürfen – ich zitieren den Minister – alle Mittel ausschöpfen“, sagt die Staatssekretärin zum BKA-Mann mit Namen König. „Unterm Radar“.

Bis auf die Toilette

König, gespielt vom wie immer großartigen Fabian Hinrichs, sieht das so: „Es gibt ganz neue, ganz komplexe Bedrohungen“, sagt er. „Wir müssen dem doch in unserem Handeln irgendwie Rechnung tragen. In unserem Denken. Wir müssen ganz neu denken. Wir brauchen eine ganz neue Logik!“ Die Logik des Waterboardings. Königs internen Widerpart gibt Heino Ferch als Bullen alter Schule – Promille im Blut, etwas angeknockt also, aber das Herz auf dem rechten Fleck. Das neue Denken ist ihm fremd. Ähnlich differenziert die Darstellung der Journalisten: Auf eine Horde Paparazzi kommt ein Anständiger, der investigativ aufklären will.

Den besten Satz sagt der von Ferch gespielte Oldschool-Bulle zum BKA-Mann über die Karrierejuristin: „Weißt du, wem du da beim Kacken zusiehst – glaubst du, die lässt sich das gefallen?“ Der ARD-Zuschauer alter Schule darf die Frage getrost als rhetorische verstehen. Der Unübersichtlichkeit etwa von „Homeland“, dem neuen Denken nicht nur amerikanischer Fernsehmacher muss er vorerst nicht Rechnung tragen.