„Ohne uns gibt es keine Innovation“

Mehr Geld Ein Verbund freier Theater fordert von Niedersachsen eine Million Euro Unterstützung jährlich. Gründungsmitglied Winfried Wrede über faire Gagen und den Wert der freien Szene

Theaterleiter, Hausmeisterersatz und Lobbyist für die freien Bühnen: Winfried Wrede  Foto: Thorsten Helmerichs

INTERVIEW Manuela Sies

taz: Herr Wrede, warum sind die freien Theaterhäuser so wichtig?

Winfried Wrede: Wir sind Zukunftshäuser, spielen mit Formaten und Themen. In unserer Produktion Catkiller etwa haben wir die Zuschauer ins Stück geholt. Sie erhielten Handkameras und Kopfhörer. Ein Film führte sie durch die begehbaren Kulissen und Räume des Theaters, Film und Wirklichkeit wichen voneinander ab. Das alles machte die Geschichte sinnlich erfahrbar. Ohne uns gibt es keine Innovation.

Und die Stadt- und Staatstheater?

Die kollabieren langfristig ohne uns. Es ist die Tradition der freien Szene, dass sie Neues wagt. Dafür wird sie zunächst erst mal kritisiert. Später übernehmen die Stadt- und Staatstheater es dann aber doch. Das ist auch in Ordnung, wir wollen den Austausch. Aber die freie Szene und die Staatstheater müssen in der Anerkennung ihres Berufsstandes und ihrer Arbeit gleichgestellt sein.

Aktuell herrscht da Ungleichgewicht?

Innovative Formen werden einseitig übernommen, ohne direkten oder zumindest kulturpolitischen Verweis auf deren Herkunft aus der freien Szene. Von uns wird permanent Neues verlangt, was die Tradition der Szene beschreibt, aber bei einem freien Theater mit Spielstätte auch nicht unbegrenzt einforderbar ist. Gleichzeitig müssen wir uns für diese neuen, innovativen Formate aber rechtfertigen, weil wir sie vor einer erwiesenen Massentauglichkeit zeigen und davon ausgehend auch weiterentwickeln.

Woran fehlt es den freien Theaterhäusern?

An langfristiger Unterstützung. Das Kulturministerium fördert einzelne Projekte und Konzepte, vergibt aber keine Spielstätten- und Infrastrukturförderung, wie in der Soziokultur und bei Museen üblich. Laufende Modernisierungen der Haus- und Bühnentechnik, sind daher schwer möglich. Von der Personalplanung ganz zu schweigen.

Das heißt?

Hier im Haus sind wir ein Team von drei Leuten. Neben seiner Stammaufgabe macht jeder noch andere Dinge. Ich führe etwa Regie, beantrage Fördermittel, bin aber auch mal Hausmeister. Personal wie Techniker, Regisseure oder Schauspieler beschäftigen wir nach Bedarf. Anders trägt es sich nicht. Das macht es schwer, unser Programm attraktiv zu halten. Dafür bräuchten wir mehr Projektmitarbeiter.

In Niedersachsen gibt es zudem keine Gastspielförderung.

Das verschärft das Problem. Freie Theatergruppen müssen bei Projektförderung mindestens zehn Auftritte leisten, Gastspiele außerhalb ihres Wohnortes sind notwendig. Die Förderung deckt vor Ort die Kosten pro Aufführung aber nicht. Das sind etwa 3.500 Euro, haben wir im Verbund berechnet. Dann haben die Schauspieler immer noch keine Gage, keine Unterkunft.

Also können sie nicht von ihrem Beruf leben.

Es ist schwierig. Ich bin als junger Mensch mit einem Kinderstück von Oldenburg nach Basel getourt und konnte davon leben. Das ist heute nicht mehr möglich, weil die Politik so viel beschnitten hat.

Trotzdem gilt die freie Theaterszene in Niedersachsen als nachwuchsstark.

Die Universitäten sind offener für neue Strömungen geworden, vor allem Hildesheim und Gießen. Von dort kommen gut ausgebildete Leute, von denen viele vorwiegend im Bereich Performance geschult sind, anstatt eine klassische Schauspielausbildung durchlaufen zu haben. Diese KünstlerInnen bleiben auch eher im freien Bereich, um an eigenen Projekten weiterzuarbeiten. In Niedersachsen fehlt ihnen aber die Basis.

Und die Folgen?

Viele gute Leute wandern in andere Bundesländer ab, zum Beispiel nach Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin. Die haben eine Basisförderung. Dem niedersächsischen Publikum entgeht dadurch vieles, was sich wieder auf Sehgewohnheiten und Nachfrage auswirkt.

Wollen Sie da nicht manchmal den Beruf wechseln?

Ich bin beim Theater seit ich denken kann und mag diesen Beruf nach wie vor, weil alle Künste darin zusammenfließen. Ich gehöre noch zu der Generation, die diesen Zustand gewohnt ist. Jetzt stehen wir aber zusätzlich zu der langjährig defizitären Fördersituation für den freien Bereich vor einem Generationswechsel. Die KünstlerInnen der ersten Generationen steuern auf den Ruhestand zu und sollten abgelöst werden. Der Nachwuchs steht aber gänzlich anderen Bedingungen gegenüber.

Winfried Wrede

58, ist Gründer und Leiter des freien Theaters Wrede + in Oldenburg. Als Regisseur, Autor und Musiker entwickelt er dort neue Theaterformen, etwa den theatralen Videowalk. Er ist Mitinitiator des niedersächsischen Verbundes der freien Theaterhäuser.

Deshalb der Verbund freier Theaterhäuser?

Wir haben uns zusammengetan, weil meine Kollegen und ich festgestellt haben, dass wir ähnliche Probleme haben, aber keine Lobby. Wir haben die innovativen Häuser und den Nachwuchs, aber noch keine Zukunft. Gemeinsam wollen wir das ändern. Dabei sind wir nicht gegen die Politik, sondern suchen den Austausch und zeigen Wege, wie es gehen kann.

Zum Beispiel mit dem Projektantrag beim Ministerium.

Das Land hat uns für das Jahr 2015 gefördert, damit wir Modelle für die Zukunft der freien Szene erarbeiten können. Daraus ist der Antrag entstanden. Wir möchten ein fünfjähriges Modellprojekt in Gang bringen mit einer unabhängige Basisförderung für freie Theaterhäuser. Das würde notwendige Modernisierungen und Personalplanung sowie Programm- und Gastspielmittel beinhalten. Zudem wollen wir als Verbund Richtwerte für faire Gagen in der freien Szene festlegen. Ein Koordinationsbüro soll das alles organisieren. Bisher läuft diese Arbeit ehrenamtlich. Insgesamt brauchen wir dafür jährlich eine Million Euro.

Eine stolze Summe.

Dafür bekommt das Land mehrere Millionen zurück. Mit der Basisförderung ermöglichen wir Projekte. Darauf folgen Gelder, etwa von Stiftungen, anderen Bundesländern oder Stipendien, schließlich noch Eintrittsgelder. Es fließt also das dreifache der Summe. Nehmen wir das Stipendienprogramm Flausen-Young Artists in Residence in Oldenburg. Seit 2014 sind Residenztheater aus NRW und Hessen dabei. Zwar liegen die Basiskosten für Ausschreibung, Bewerbungen und Jurysitzungen noch in Niedersachsen, aber nun beteiligen sich andere Bundesländer finanziell. Es geht also nicht um Subventionen, sondern – auch im Kultursektor – um eine Investition.

Und die Reaktion der Ministerin?

Uns ging es erst einmal darum, aufzurütteln. Natürlich hat Frau Heinen-Kljajić uns bei der Übergabe des Antrags klargemacht, dass eine Million Euro gerade nicht da sind. Sie will aber mit uns zusammenarbeiten. Und wir werden immer wieder anklopfen, ab jetzt jedes Jahr. Wir haben keine andere Chance.