KONFLIKT K. ist Angler. Aber so einfach ist das nicht, wenn Angeln im Freundeskreis als Mord gilt
: „Fisch ist das beste, was es gibt“

Hamburg in der Hafencity: Peter (mit der gelben Mütze, 19), Yannic (mit der grauen Jacke, 20) und Tim (mit der blauen Mütze, 19) studieren Biologie und haben gerade das Streetfishing für sich entdeckt. Sie angeln allerdings schon seit ihrer Kindheit Unten: Sascha, 29, Landwirt, hat seit drei Wochen einen Angelschein. Eine Karte auf dem Handy zeigt ihm die Gewässer, in denen er fischen darf. Seine Route ist der Alsterfleet bis hoch zur Schleuse, kurz vor dem Baumwall. Saschas Hund heißt Phil (Foto SEITE 41), sein Lieblingsspot zum Angelns ist an der Heiligengeistbrücke – bis auf kleine Fische hat er hier aber noch nichts gefangen. Sein Ziel ist ein Barsch, den er dann mit seiner Freundin zum Abendbrot essen kann Fotos: Hannes von der Fecht

Erst mal hat K. eine Gegenfrage: „Wieso macht die taz ausgerechnet was über Angler?“ Er schüttelt ratlos den Kopf: Geschieht nicht gerade genügend Katastrophales auf der Welt, über das man besser berichten sollte? Er sagt: „Jeden Tag werden zwei Flüchtlingsunterkünfte angezündet, in der Türkei droht ein Bürgerkrieg – und ihr macht ein Special über Angler.“

K. ist Angler. Und das schon immer, also fast. „Es hat angefangen, da war ich vielleicht vier.“ Er ist damals und später viel mit seinem Großvater unterwegs, sie schauen den Anglern zu, wie sie an Teichen und Gräben stehen und eben angeln. „Dabei hat mein Opa selbst gar nicht geangelt; ich denke, es war mehr Kinderbespaßung.“

„Die wenigstens wissen, dass ichangele, es wissen nur ein, zwei Freunde, mit denen ich politisch okay bin“

Egal: Sie stehen da, verfolgen, wie die Angler ihre Haken bestücken, wie sie die Leinen auswerfen; sie schauen zu, wie ein Fisch anbeißt und oft auch nicht. Mit zehn Jahren, nein, er war doch schon eher zwölf, fängt er selbst an zu angeln. „Aber gleich richtig: mit Rute und Rolle.“ Gekauft vom Taschengeld. Er schaut sich ab, was man können muss; fragt nach, was man wissen muss: „Das geht alles schnell, wenn man Lust drauf hat.“ Dann macht er den Angelschein.

K. sagt: „Angeln gehört zu meinem Leben.“ Er denkt kurz nach, sagt dann: „Ich kann gar nicht sagen, was mir besonders am Angeln gefällt, es ist das Draußensein, es ist das mal mit sich allein und für sich sein, man fängt den Fisch, man bereitet ihn zu, man professionalisiert ein Hobby, man ist drinnen in der Thematik, es ist von bis – also alles, eigentlich.“ Somit wäre klar: K. ist Angler.

Es gibt da nur ein Problem: K.s Freundes- und Bekanntenkreis weiß nichts von seiner Angelleidenschaft. Und das soll unbedingt so bleiben. Deswegen: kein Name, kein Alter; auch keine Angaben, was er beruflich macht und wo er genau in Hamburg wohnt. „Angeln ist für Vegetarier und Veganer ja auch Mord“, sagt er, und er lehnt sich zurück. Die Auseinandersetzungen darüber kennt er. „Also ich führe sie und führe sie auch nicht. Die wenigstens wissen, dass ich angele, es wissen nur ein, zwei Freunde, mit denen ich politisch okay bin, ich muss das nicht mit jedem teilen.“ Er sagt: „Ich bin es leid, diese Auseinandersetzungen immer wieder aufs Neue zu führen; ich bin es leid, mich rechtfertigen zu müssen.“ Das wäre auch irgendwie nerdig.

Und so steht er nicht unten am Hafen, um zu angeln: „Sondern nur da, wo mein soziales Umfeld mich nicht trifft.“ Er sagt: „Nicht, dass ich mich mit anderen über dieses Hobby solidarisiere; das ist mein eigenes Ding.“

Aber die anderen Angler? Kennen nicht Angler immer andere Angler? „Ist halt schwierig“, sagt K. gedehnt. „Angeln ist ein Kartoffelsport“, sagt er und nimmt das sofort zurück. Zu pauschal, zu vereinfacht. Aber doch sehr elitär-deutsch ausgerichtet sei das Angeln. „Bei den Anglern sind schon komische Leute dabei, geh mal hier in ein Angelgeschäft, da merkst du den Rassismus, wenn sie da abfällig über die osteuropäischen Angler reden, die sich nicht so eine teure Angelausrüstung leisten können.“

„Ich liebe Fisch“, sagt K., „Fisch ist das beste, was es gibt.“ Aber man müsse das Angeln auch kritisch sehen: „Weißt du, dass etwa die Ostsee mittlerweile durch die Handangler überfischt wird und nicht durch den Kutterfang mit seinen Netzen?“ Er sagt: „Ich verstehe schon die Argumente, die gegen das Angeln sprechen.“ Auch könne man fragen, was das mit der Angelscheinpflicht bei uns auf sich habe; mit den Gewässern, die an Vereine verpachtet würden, statt dass sie allen gleichermaßen zum Angeln zur Verfügung stehen. Er sagt: „Sollten demnächst die Flüchtlinge unten am Hafen stehen und angeln, die werden bestimmt keinen Angelschein haben, wo sollen sie den auch her haben.“

Aber es beschäftigt ihn noch immer die Frage, warum die taz sich jetzt so fürs Angeln interessiert: „Ihr macht was über Streetfishing, wo gerade in der Welt so viel Scheiße passiert? Was ist bei euch los? Die Angler sind ja nicht bedroht, weil ein Angelverbot im Hafen angekündigt ist.“ Er selbst überlege immer wieder aufs Neue, mache er Politik, mache er Freizeit, gehe er angeln. Er sagt: „Ich gehe ja nicht das Jahr über gleich oft Angeln.“ Und sagt dann: „Ich versteh’schon: ‚Kein Leben ohne Widerspruch‘.“

Trotzdem, oder gerade deswegen: Stimmt der Eindruck, dass in den letzten Jahren mehr Leute in der Stadt angeln? „Geh’mal in den Hafen, fahr’mal die Hotspots ab, wo die Leute einer dicht neben dem anderen stehen“, sagt er. Doch warum? „Der Hamburger Hafen hat europaweit mit das beste Zandergewässer“, jetzt klingt er irgendwie – stolz. In Stralsund gebe es noch viel Zander, aber sonst: Hamburg – ein Topgewässer.

Und dann sprudelt es aus ihm heraus: Brackwasserzone … Fließgewässer … viel steiniger Untergrund. „Die Elbe weiter im Osten, da hat der Zander viele Laichflächen oder auch in der Süderelbe in alten Hafenbecken. Dazu viel Weißfisch.“ Weißfisch? Na, kleine Süßwasserfische, Pflanzenfresser, ideale Beute für Raubfische wie – den Zander. „Deswegen stehen die da alle und wollen alle Zander fangen.“ Frank Keil