Im Norden nichts Neues

RUGBY-WM Nach Wales scheitert mit Frankreich das zweite europäische Teamim Viertelfinale.Die Entwicklung der Nationalmannschaft leidet unter der finanzstarken Liga

Neuseelands Joe Moody (l.) will sich nicht vom Franzosen Bernard le Roux aufhalten lassen Foto: reuters

Der Samstag war für das europäische Rugby wirklich kein guter Tag. In den beiden ersten Viertelfinals der Weltmeisterschaft in England und Wales verloren Wales im Londoner Rugby-Tempel Twickenham gegen Südafrika (19:23) und Frankreich in Cardiff gegen Titelverteidiger Neuseeland. Wobei: Frankreichs 15er-Auswahl wurde beim 13:62 von den „All Blacks“ geradezu demontiert und in seine Einzelteile zerlegt.

Neuseeland trifft also am kommenden Wochenende im ersten Halbfinale auf Südafrika. Die beiden anderen Viertelfinalspiele zwischen Irland und Argentinien und Australien gegen Schottland am Sonntag waren bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass auch der kommende Weltmeister von der südlichen Halbkugel kommen wird. Seit der Erfindung der Rugby-WM 1987 und ihrer Austragung alle vier Jahre gewann einzig in England 2003 ein europäisches Team den begehrten Titel. WM-Gastgeber England schied aber diesmal schon in der Vorrunde aus.

Und wer an die Franzosen als Titelaspirant geglaubt hatte, wurde am Samstagabend bitter enttäuscht. Die Franzosen klammerten sich in der Neuauflage des WM-Finales von 2011 an ihre guten Ergebnisse gegen die Neuseeländer. Bei Weltmeisterschaften besiegten die „Les Bleus“ die „All Blacks“ in der Vergangenheit zwei Mal grandios. Aber der Generation von 2015 fehlten die Inspiration und die Durchschlagskraft früherer französischer Teams. Und so endet die vierjährige Ära des Trainers Philipp Saint-André mit einer weiteren Pleite. Die Ablösung des umstrittenen Trainers zum 1. November war schon vor der WM beschlossen. Bei vier Teilnahmen beim prestigeträchtigen Six-Nations-Turnier, dem jährlichen Wettbewerb der sechs besten Teams Europas, vergleichbar mit einer Fußball-EM, gelang den Franzosen mit Saint-André nie ein Platz unter den ersten drei.

Vor dem Viertelfinale am Samstag wurde in der heimischen Presse das Gerücht verbreitet, dass die französischen Spieler sich gegen den wenig charismatischen Saint-André aufgelehnt hätten. Manche Beobachter vermuteten darin allerdings nur ein Manöver, um Neuseeland in Sicherheit zu wiegen. Wie auch immer: Das alles spielt nach dem frühen Aus nun keine Rolle mehr, ab November übernimmt der 61 Jahre alte Guy Noves die „Les Bleus“. Vielleicht, so Kritiker, wäre eine Ablösung von Saint-André vor der WM besser gewesen. Noves wird aber die Probleme des französischen Rugby erben.

In Frankreich vervierfachten sich die Budgets der Klubs der „Top 14“-Liga in den letzten fünf Jahren auf durchschnittlich zwischen 25 bis 30 Millionen Euro. Der Fünfjahresvertrag der Liga mit dem TV-Sender Canal+ beschert den 14 Top-Teams rund 350 Millionen Euro. Die englischen Spitzenteams generieren im gleichen Zeitraum nur rund die Hälfte aus ihrem TV-Deal. Aufgrund dieser Finanzkraft ist es möglich, dass ausländische Topstars wie beispielsweise der großartige Zweite-Reihe-Stürmer Paul O’Connell aus Irland zum französischen Spitzenklub RC Toulon gelockt werden. Der seit Samstag ehemalige Nationalcoach Philippe Saint-André konstatierte mehrfach, die steigende Zahl ausländischer Spieler in den Klubs habe nicht nur gute Seiten. „Die Top-14-Liga ist eine Geldmaschine, Erfolg ist alles. Ich verstehe diese Kultur“, sagte Saint-André einmal. Aber die Qualität der Nationalmannschaft leidet, die eigenen Talente kommen immer weniger zum Einsatz. Mancher Experte findet: Das französische Rugby-Team ähnele mittlerweile dem englischen Fußball-Nationalteam – der Aufstieg des heimischen Ligabetriebs zur dominierenden Marke schwäche die Ländermannschaft.

Seit der Erfindung der Rugby-WM 1987 gewann nur einmal ein europäisches Team den Titel

Vor der WM wurde Frankreichs Rugby durch Vorwürfe des systematischen Dopings beim RC Toulon erschüttert. Auch im Rugby sind die negativen Seiten der Professionalisierung, die seit Mitte der 1990 Jahre fortschreitet, zu beobachten. Tobias Schächter und Tobias Schächter