DurchhaltenCDU-Generalsekretär Peter Tauber über den andauernden Streit um die Kanzlerin, über Hassmails und kein Einwanderungsgesetz
: „Es gibt keinen Schalter“

Peter Tauber: früher der Modernisierer mit Internet, jetzt eher Einschwörer Foto: Hans Christian Plambeck/laif

Interview Anja Maier
und Georg Löwisch

taz.am wochenende: Herr Tauber, wie viele Leute sind in jüngster Zeit wegen Angela Merkel in die CDU eingetreten?

Peter Tauber: Wir haben aktuell deutlich mehr Eintritte als in den Vormonaten, aber wir haben auch mehr Parteiaustritte als sonst. Unter denen, die jetzt eintreten, sind sehr viele Menschen, die ganz explizit sagen: Das, was Angela Merkel und die Bundesregierung da machen, wollen wir unterstützen.

Das heißt, Sie glauben, Sie können Merkel noch retten?

Ihre Zuspitzung trifft die derzeitige Situation überhaupt nicht. Bei allen Diskussionen muss man sich doch die Frage stellen: Wer soll denn diese Herausforderung im deutschen Interesse besser lösen als Angela Merkel?

Was für ein Argument: Die CDU hat niemanden anders!

Die CDU hat eine Bundeskanzlerin, die ihre Aufgaben in den zurückliegenden zehn Jahren gut gemacht hat. Daraus nehme ich die Zuversicht, dass wir es auch jetzt schaffen, die aktuelle Herausforderung zu meistern.

Aber es läuft doch nicht, jeden­falls nicht aus der Sicht des CDU-Generalsekretärs. Ihre Partei rutscht in Umfragen ab, in einer sogar auf 34 Prozent.

Ich empfehle da die langfristige Perspektive. In den frühen Neunzigern, als über eine Million Flüchtlinge vom Balkan nach Deutschland kamen, gab es ähnliche Kritik wie heute. Trotzdem hat die CDU 1994 die Bundestagswahl gewonnen. Das gibt mir die innere Festigkeit zu sagen, wir schauen jetzt mal besser auf die Probleme und konzentrieren uns auf deren Lösung und reagieren nicht auf jede Umfrageveränderung und jeden tagespolitischen Ausschlag.

Erst ohne Dublin-Verfahren, dann wieder mit, Familiennachzug, Schäubles „Lawine“ – halten Sie das nicht mindestens für ein Kommunikationsdesaster in der CDU?

Man kann tatsächlich nicht behaupten, dass wir gerade eine ganz normale politische Debatte führen. Das merken ja alle. Und deshalb kommen oft neue Vorschläge. Das ist in einer solchen herausfordernden Situation auch normal.

Chaos ist normal?

Diesen Eindruck teile ich nicht. Aber vielleicht muss eine Debatte in so einer Lage manchmal einfach schneller, disruptiver sein, um sich an den Kern einer Frage heranzuarbeiten. Das muss nichts Negatives sein.

Die dauernden Spitzen gegen Ihre Chefin sind für Sie nichts Negatives?

Entscheidend wird am Ende sein, ob wir unserem eigenen Anspruch gerecht werden. Und der ist, Menschen in Not zu helfen und dafür die Kapazitäten zu schaffen. Die bauen wir gerade auf. Aber uns muss auch bewusst sein, dass wir natürlich nicht allen etwa 60 Mil­lio­nen Menschen auf der Flucht helfen können. Wir müssen also schauen, wo wir als Deutsche an anderer Stelle stärker in die Verantwortung gehen können. Das sind dann auch die außenpolitischen Fragen.

Sind Sie und Ihre Parteivorsitzende eigentlich mit Hass konfrontiert?

Neulich schrieb mir jemand ­unter seinem richtigen ­Namen: „Wir kriegen dich und deine Brut!“ Da frage ich mich schon: Das ist also jetzt die neue Form von demokratischem Diskurs? Muss ich mir das gefallen lassen?

Was haben Sie gemacht?

Peter Tauber

Politisch: Peter Tauber, 41, ist seit April 2014 Generalsekretär der CDU. Die Parteivorsitzende Angela Merkel hat ihn gekürt, damit er die CDU attraktiv auch für Jüngere, für Frauen und für Migranten macht. Tauber, der mit 18 Jahren CDU-Mitglied wurde, sitzt seit 2009 im Bundestag. Im Parlament gehört er dem Ausschuss Digitale Agenda und dem Familienausschuss an.

Privat: Geboren in Frankfurt am Main, zwei Geschwister. Abitur 1994, anschließend Wehrdienst und Studium der Geschichte, 2007 Promotion. Tauber ist „Star Wars“-Fan, in seinem Büro stehen mehrere Legomodelle, unter anderem das des Todessterns. Gespräche beendet er mitunter mit „Hurra!“. Dieses mit der taz nicht.

Das habe ich noch nicht entschieden. Manchmal sage ich mir: Jetzt erst recht, solchen Leuten darf man das Feld nicht überlassen. Aber ich erlebe ja auch das Umgekehrte, das Gute: Leute, die einfach helfen. Die haben auch Kritik und Fragen, aber die packen mit an, und ich stelle mich an deren Seite und kümmere mich lieber um die.

Was bietet die CDU den Zweiflern an?

Helmut Schmidt hat mal gesagt: In der Krise beweist sich der Charakter. Wer in der Verantwortung steht, muss diese auch annehmen. Und das gilt vom ehrenamtlichen Stadtrat bis hin zum ­Bundestagsabgeordneten. Wir sind eben nicht dafür gewählt, dass uns im Wahlkreis der Arm auf die Schulter gelegt wird nach dem Motto: Läuft super, grüß mal die Kanzlerin! Eigentlich sind wir doch für Zeiten wie diese gewählt.

Wird Angela Merkel von der Basis überhaupt noch getragen, oder wird sie nur gehalten?

Ich erlebe auf Terminen, dass am Ende des Tages die Zuversicht überwiegt, dass wir es schaffen, diese Herausforderung für unser Land zu meistern. Eine Diskussion gibt es immer wieder darüber, ob der Weg der richtige ist, und das muss in einer so schwierigen Frage auch so sein, das gehört für mich als Wesensmerkmal der Demokratie dazu. Viele wünschen sich eine schnelle Lösung. Sie hoffen, dass plötzlich alles wieder wie vorher ist. Aber es gibt in der Flüchtlingsfrage keinen Schalter, den man einfach umlegen kann. Und unsere Mitglieder setzen auf Angela Merkel.

Noch vor wenigen Monaten war Ihr Profil: der SchwarzGrün-affine Modernisierer, der mit den Tools und den Tweets. Jetzt durchläuft die CDU ihre härteste Zeit seit zehn Jahren. Sind Sie der falsche Mann zur falschen Zeit im falschen Amt?

Wissen Sie, ich kenne meine Partei ziemlich gut. Ich bin mehr als die Hälfte meines Lebens Mitglied. Und das Aufgabenspektrum des Generalsekretärs ist vielfältig. Er soll die Partei programmatisch fordern, das habe ich getan und tue es weiter. In einer Situation wie jetzt werden aber andere Dinge verlangt. Da geht es darum, die Truppe beisammenzuhalten und zu sagen: Leute, wir haben uns auf etwas verständigt, das müssen wir umsetzen. Und das funktioniert nur, wenn wir zusammenhalten.

In vier Wochen findet in Karlsruhe der CDU-Parteitag statt. Wird das der Humanitäts-Parteitag oder der Zaun-Parteitag?

Schauen Sie, wir haben klar gesagt: Wir wollen Menschen in Not helfen, deren Leben durch Krieg und Gewalt bedroht ist. Dabei bleibt es. Doch die Menschen – vorrangig vom Westbalkan –, die keinen humanitären Grund für einen Aufenthalt haben, die werden wieder gehen müssen. Wichtig ist – gerade auch für uns als Christdemokraten –, dass wir es schaffen müssen, den Menschen individuell zu begegnen. Jeder hat in Deutschland das Recht, mit Würde behandelt zu werden, auch wenn er wieder gehen muss. Eines muss uns bewusst sein: Selbst wenn wir die europäischen Außengrenzen wieder besser sichern, werden auch weiter Flüchtlinge nach Euro­pa kommen, denen wir helfen müssen.

„. . . dass wir es schaffen müssen, den Menschen individuell zu begegnen“. Hört sich an wie eine Obergrenze mit Schleifchen.

Ich finde dieses Wort Obergrenze nicht zielführend – weil die reine Festlegung einer solchen Obergrenze uns keinen Schritt näher an die Lösung des Problems bringt. Wer eine Obergrenze fordert, muss auch sagen, was mit den Menschen passiert, die kommen, wenn diese Grenze erreicht ist. Außerdem stellt sich gerade die Frage, was tun wir mit denen, die jetzt da sind. Diese Menschen haben ja einen Anspruch auf eine gute Behandlung. Und wir haben einen Anspruch an uns selbst. Sich zu fragen, wie machen wir das, damit daraus nicht Enttäuschung wird – das ist der Punkt, der jetzt debattiert werden muss.

Sie verfolgen seit Langem das Projekt eines Einwanderungsgesetzes. Ist davon noch etwas übrig?

„Man kann tatsächlich nicht behaupten, dass wir gerade eine ganz normale politische Debatte führen“

Wenn Sie sehen, wo wir zu Beginn des Jahres mit meinem Vorschlag für ein Einwanderungsgesetz standen und wo wir jetzt mit diesem Antrag stehen, dann ist das natürlich ein Kompromiss. Aber das ist ja auch das Gute in der Union, dass man sich einander annähert. Ich finde meine Intention in dem Antrag wieder. In der Tat wird das wohl eher ein Projekt für die nächste Legislaturperiode sein können. Momentan haben wir andere Baustellen.

Spekulieren Sie darauf, dass das Einwanderungsgesetz ein feines Zuckerle für Schwarz-Grün nach der Wahl 2017 wird?

Sagen wir es so, es wäre spannend, zu gegebener Zeit mit­ein­ander herauszuarbeiten, was das gemeinsame Verständnis eines Begriffs ist, den ja beide Seiten gern verwenden. Die Unterschiede wären dann Gegenstand politischer Erörterungen. Bei uns stünde im Vordergrund die Frage, wen wollen wir bei uns haben, wer bringt Deutschland voran. Man muss klar trennen zwischen Asyl und Flucht einerseits und Einwanderung andererseits.

Aber in einer schwarz-grünen Koalition gäbe es ja drei Partner. Und der dritte Partner, die CSU, tickt beim Wort Einwanderung völlig aus.

Wir sind uns in der Union einig, dass wir Einwanderung besser steuern und ordnen wollen. Die Frage wäre, ob so ein Gesetz nicht ein Mittel dafür sein könnte. Aber zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise hilft uns ein Einwanderungsgesetz nicht, da bin ich mit den Freunden in der CSU einig.

Im Ernst? Das sind noch Ihre Freunde?

Das ist die liebe bayerische Schwester.