Kleiner Gipfelführer

GIPFELBEGINN Worauf es bei den Verhandlungen ankommt, was die kritischen Punkte sind, wie der Zeitplan aussieht und wer alles in Kopenhagen am Tisch sitzen wird

Von Jahr zu Jahr werden die UN-Konferenzen größer; 20.000 Teilnehmer könnten es jetzt werden

VON NADINE MICHEL
UND NICK REIMER

Die Knackpunkte: Drei Fragen stehen im Mittelpunkt der Weltklimakonferenz in Kopenhagen. Erstens: Welche Zusagen machen die Industriestaaten für die Reduktion ihrer Treibhausgase bis zum Jahr 2020? Wissenschaftler fordern eine Minderung um 25 bis 40 Prozent gegenüber 1990. Die Angebote, die bislang vorliegen, belaufen sich hingegen nach Angaben des UN-Klimasekretariats auf 11 bis 18 Prozent. Mit gutem Beispiel voran geht die norwegische Regierung, die ihre Emissionen um 40 Prozent senken will. Die USA bieten eine Reduktion von 4 Prozent gegenüber 1990 an.

Inwiefern die Schwellen- und Entwicklungsländer zu Reduktionen bereit sind, wird stark von der zweiten wichtigen Frage abhängen: Inwiefern lassen sich die Industrieländer auf verbindliche und ausreichend hohe finanzielle Zusagen ein? Für die Anpassung an den Klimawandel und für die Umstellung auf eine emissionsarme Wirtschaft sollen die reichen Länder ab 2020 jährlich 100 Milliarden Euro zahlen. Die Industriestaaten ringen noch darum, welches Land wie viel zahlt und woher die Gelder stammen sollen.

Der dritte Knackpunkt ist der globale Wald- und Bodenschutz. Etwa 20 Prozent der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen stammen aus Entwaldungsprozessen, fast so viel wie aus Kraftwerken. Daher sind sich alle Experten einig, dass die Wälder, vor allem in den Tropen, geschützt werden müssen. Gegenüber anderen Emissionssenkungen ist das sogar vergleichsweise billig. Mit dem sogenannten REDD-Mechanismus („Reducing Emissions from Deforestation and Degradation“) will die UNO eine Möglichkeit finden, Wälder als Kohlendioxidspeicher anzuerkennen und in den Industriestaaten Geld für deren Schutz lockerzumachen. Die aber wollen auch hier nicht zahlen.

Der Zeitplan: In der ersten Woche beraten die Unterhändler und Fachbeamten der 192 Vertragsstaaten. Der Showdown beginnt dann in der zweiten Woche: Am Dienstag, dem 15. 12., kommen die Minister, zwei Tage darauf die Staats- und Regierungschefs, darunter auch Barack Obama.

Traditionell wird bis zum Ende um einen Kompromiss gerungen. Kommen die Verhandlungen ins Stocken, werden die Vorsitzenden der jeweiligen Arbeitsgruppen sogenannte „informals“ einberufen: Im ganz kleinen Kreis, also ohne Berater und Beobachter, wird dann hinter verschlossenen Türen ausgelotet, welche Formulierung preisgegeben oder in den Text eingefügt werden muss, um die Zustimmung eines Staates oder einer Staatengruppe zu gewinnen.

Am Tag, an dem die Staats- und Regierungschefs anreisen, soll auch für die Gipfelkritiker der Höhepunkt in Kopenhagen anstehen: die Erstürmung des Konferenzgeländes. Für den Samstag zuvor ist eine Großdemonstration geplant. Am Sonntag ruft das Netzwerk „Never trust a COP“ zu einer symbolischen Hafenblockade auf.

Die Akteure: Alle Augen werden während der Verhandlungen auf die USA gerichtet sein. Die Amerikaner haben das Kioto-Protokoll von 1997 nie unterzeichnet, haben aber den weltweit größten Kohlendioxid-Ausstoß pro Kopf. Obwohl das nationale Klimagesetz noch nicht vom Senat ratifiziert worden ist, kündigte Obama nun dennoch an, mit konkreten Zielen nach Kopenhagen zu reisen. Auch der zweite große Klimasünder China hat erstmals Reduktionsziele angekündigt.

Umweltschützer fordern auch von der Europäischen Union (EU) eine noch stärkere Führungsrolle. Ihr Angebot liegt bei einer Reduktion von 20 Prozent; sollten andere Länder mitziehen, würde sie auf 30 Prozent erhöhen.

Immer für eine Überraschung gut ist die russische Delegation. Die Regierung hat eine mögliche Reduktion um 25 Prozent gegenüber 1990 in Aussicht gestellt. Da jeder Beschluss bei Klimaverhandlungen einstimmig getroffen werden muss, versuchen einzelne Länder häufig, ein Ergebnis zu ihren Gunsten zu verändern, indem sie mit einer Blockade drohen – eine beliebte Strategie der Russen.

Die Lobbyisten: Um die Verhandlungen so breit und demokratisch wie möglich zu gestalten, räumen die UN-Regularien Nichtregierungsorganisationen einen Beobachterstatus ein. Diesen kann im Prinzip jeder bekommen, er braucht nur nachzuweisen, dass er ein „Träger öffentlichen Interesses“ ist.

Vom jamaikanischen Tourismusverband über die chinesische Handelskammer bis zum Climate Action Network – von Jahr zu Jahr werden die UN-Konferenzen größer und größer. In Kopenhagen könnte die Teilnehmerzahl die Grenze von 20.000 übersteigen.