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Schräg und komisch, „queer“

Gender Die Gruppe Queer_topia* trägt ihr Thema bereits im Namen. Mit Workshops wollen sie Gender-Diskriminierung sichtbar machen – auch in dieser Woche.

Geliebte Abweichung: Der Aktivismus der Act-Up-Bewegung eignete sich das pejorative „queer“ an Foto: reuters

von Jonas Seufert

„Holly came from Miami, F.L.A. Hitchhiked her way across the U.S.A …“ – Kennste? „She says, ‚Hey, babe, take a walk on the wild side“. Klar, Lou Reed, 1972. Besungene Holly heißt weiter Woodlawn und war Transgender-Schauspielerin. Am Montag ist sie im Alter von 69 Jahren an Krebs gestorben. Das ist traurig. Viel trauriger sind aber die Nachrufe auf sie in den internationalen Medien. Dort taucht sie stets als „Muse“ Andy Warhols auf. Als hätte sie keine eigene Identität besessen.

Queere Menschen wie Woodlawn werden auch nach ihrem Tod noch diskriminiert. Gääähn, mag da so manche*r denken, aber dualistische Geschlechterkategorien scheinen in unseren Köpfen nach wie vor in Stein gemeißelt.

Dagegen möchte die Gruppe Queer_topia* etwas unternehmen. Nicht mit Hammer und Meißel, sondern ganz sanft, im gegenseitigen Austausch. Keine schnöde Theorie, sondern gelebte Praxis. Auf Festivals zum Beispiel, am liebsten dort wo das Queersein (noch) kein Gesprächsthema ist – im Mainstream eben. Seit Anfang 2015 tun sie das. Das Mittel der Wahl: Workshops. „Wir wollen Räume schaffen, in denen wir uns über Queerness austauschen können und einen Umgang mit dem Thema in dieser Gesellschaft finden“, sagt cia, die Teil der Gruppe ist. Diskutieren, ausprobieren, hinterfragen – oder basteln: Sexspielzeug zum Beispiel. Auch Schminken und angenehmes Flirten sind Themen. Alle Veranstaltungen sind „open for all genders“.

Auch am Samstag von 13 bis 17 Uhr im f.a.q. in der Jonasstraße 40. Da bieten queer_topia* einen Workshops zu Konsens und Zustimmungsprinzip an. Herausfinden was mensch will, mit Körper und Ohr zuzuhören, nach Bedürfnissen fragen, Wünsche äußern, über Lust und Unlust reden. „Wir wollen über Sexualität ins Gespräch kommen, diese aber auch auf stereotype Rollenbilder hin hinterfragen“, sagt cia „Zum Beispiel: Wer ist aktiv, wer ist passiv? Wer spricht das Thema Verhütung oder Safer Sex an?“ Oft sei Sex wie ein Zugticket kaufen: Du musst mit dem Zug bis zur Endstation schweigend durchfahren, und alle glauben zu wissen, wohin die Reise geht.

Wer es kuschelig mag, kann am Sonntag um 19 Uhr gleich noch mal ins f.a.q. kommen – zum queeren Geschichtenerzählen. Aus dem Buch oder aus dem Kopf, Erlebtes oder Erfundenes. Für eine lauschige Atmosphäre wird gesorgt. Fokus dieses Mal: queere Nicht_Beziehungen.

Queer, das ist ein angeeigneter Begriff. Schräg und komisch, mehr fiel der weißen Heteromehrheit der Gesellschaft nicht ein, um Menschen, die aus tradierten Geschlechterrollen herausfallen, zu bezeichnen. Erst die Trans- und Homosexuellenszene in den USA rang den Begriff dem Mainstream ab. Nach Deutschland schwappte er vor allem über die Gesellschaftswissenschaften und wurde dann zur Bewegung.

Ein Definitionsversuch aus dem Wörterbuch: Die Queer-Theorie geht davon aus, dass die geschlechtliche und die sexuelle Identität gemacht werden. Hier bekommen Marx und Co. Probleme, Materie bestimmt nun mal die Wirklichkeit, und biologisches Geschlecht ist dann eben biologisches Geschlecht. Queerness ist auch in der linken Szene umstritten.

Und am Ende steht oft die gute alte Selbstdefinition. Queer bin ich dann, wenn ich mich als queer sehe. „Wir fassen den Begriff so weit wie möglich“, sagt cia. „schwul, lesbisch, bi, trans, inter, questioning, asexuell.“ Es hat aber auch etwas mit Herausfallen zu tun, mit Rebellion. Und so begreifen sich queer_topia* auch als antikapitalistisch. „Der Kapitalismus drückt Menschen in verschiedene Schablonen und Formen“, so cia. Kleinfamilie sichert die Produktionsverhältnisse und so.

Ob mit Systemfrage oder ohne: Für queere Menschen sind viele ganz alltägliche Situation ein Problem. Der Gang zur Toilette zum Beispiel. Eine Transperson weiß nicht, hinter welche Tür sie gehen soll, wenn sie auf der Arbeit, in der Kneipe oder auf dem Amt mal muss. Und das mehrmals am Tag. Doch es gibt Hoffnung auf Veränderung: Die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen hat jüngst ein „WC für alle Geschlechter“ eingerichtet – versteckt im vierten Stock des Verwaltungsgebäudes in der Oranienstraße. Gut Ding will Weile haben. Und Intersexuelle Menschen empören sich zurecht über das Kürzel ICD-10-GM-2014-Q56. Es steht für „unbestimmtes Geschlecht“ – im Klassifikationssystem für Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bleibt zum Schluss noch eine Frage: Sternchen oder Unterstrich? „Eigentlich egal“, sagt cia. „Unterstriche sind gängiger, Sternchen schöner.“

Termine: Workshop zum ­Konsensprinzip am Samstag, 12. Dezember, 13 bis 17 Uhr im f.a.q. Infoladen, Jonas­straße 40; Queeres Geschichtenerzählen am Sonntag, 13. Dezember, 19 Uhr, ebenfalls im f.a.q., Jonas­straße 40

Infos:queertopia.blogsport.de und faq-infoladen.org