Gegen die Regeln

ALLEINGANG Obwohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dagegen ist, schiebt der Landkreis Gifhorn eine tschetschenische Familie nach Russland ab – und gibt sich unwissend

Entweder keine Ahnung von den Asylgesetzen – oder sie bewusst ignoriert: So deutet Sebastian Rose vom niedersächsichen Flüchtlingsrat das Verhalten des Landkreises Gifhorn. Der ließ vergangene Woche eine Familie nach Russland abschieben, obwohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dies zu verhindern versucht hatte. Zudem hatte das Verwaltungsgericht in Braunschweig noch am selben Tag die Abschiebung für rechtswidrig erklärt. Zu spät, behauptet der Gifhorner Oberkreisdirektor Andreas Ebel: Zu dem Zeitpunkt habe man den Vorgang nicht mehr stoppen können.

Ganz unabhängig davon war der Landkreis aber längst nicht mehr zuständig – und der Abschiebebescheid nicht mehr gültig. Die tschetschenische Familie war über Polen in den Schengen-Raum eingereist. Gemäß der Dublin-Verordnung sollte sie dorthin wieder abgeschoben werden.

Weil das wegen einer schweren psychischen Krankheit einer Tochter akut nicht möglich war, verstrich die Frist, innerhalb derer die deutschen Behörden die Familie in das „Drittland“ hätten überstellen müssen, also nach Polen. Von da an war Deutschland für das Asylverfahren der Familie zuständig: Dies hatte das BAMF im September dem Kreis mitgeteilt. Der gab sich unwissend: Man habe zwar mitgeteilt bekommen, dass die Frist abgelaufen sei, erklärte er – nicht aber, dass damit die Zuständigkeit an das BAMF übergehe.

„Das weiß aber jede Ausländerbehörde“, sagt Rose. Er spricht von einer bewussten Täuschung der Öffentlichkeit. Der Flüchtlingsrat wirft dem Landkreis Gifhorn eine Verletzung des Völkerrechts sowie deutscher Vorschriften vor. „In meiner 30-jährigen beruflichen Laufbahn“, sagt Geschäftsführer Kai Weber, „ist mir kein vergleichbarer Fall eines solch groben Rechtsbruchs bekannt.“

KATHARINA SCHIPKOWSKI