Portugiesische Kekse oder deutsche Büstenhalter
: Die Wege führen nach Berlin

Zu hause bei Fremden Miguel Szymanski

Es ist die ganz normale Vorweihnachtszeit im Krisenland Portugal. Am Samstag habe ich auf dem Weihnachtsmarkt, der von der reichen deutschen Community in einem alten Kloster in Lissabon organisiert wird, einen kleinen, in Handarbeit vor Ort geflochtenen Adventskranz Made by Germans für 25 Euros gekauft (für das Geld bekomme ich auf dem portugiesischen Markt 5 Kilo fangfrische Makrelen und drei Flaschen Rotwein).

Am Sonntag haben meine Töchter „Wir sagen Euch an“ gesungen (in unserer Haussprache: Deutsch), ich musste dazu Flöte spielen (sehr deutsch).

Es weihnachtet sehr. Doch Deutschland, das Weihnachtsmarktland, macht Hunderttausenden Portugiesen direkt und indirekt diese Weihnachtszeit zum Albtraum.

Nach der Schließung der traditionellen Keksfabrik Triunfo in einem Lissabonner Vorort im letzten Monat stieß letzte Woche das deutsche Mieder-und-Höschen-Unternehmen Triumph, das ebenfalls in der Lissabonner Metropolregion herstellt, eine Fabrik ab, in der 500 Menschen arbeiten (sie soll verkauft werden, die Erfahrung sagt, dass die Produktion in spätestens einem Jahr eingestellt wird).

Das Volkswagenwerk südlich von Lissabon fährt die Produktion zurück, und ebenfalls pünktlich zum 1. Advent wird bekannt gegeben, dass die ­Tageszeitung i und die Wochenzeitung Sol zwei Drittel der Mitarbeiter entlassen werden, die verbleibenden Angestellten sollen „erhebliche Gehaltskürzungen“ hinnehmen.

Das Geld ist knapp im Land, der Würgegriff des deutschen Spardiktats wirkt nach, die Binnennachfrage bricht weiter ein, es fehlt das Kleingeld für Plätzchen, Unterwäsche und erst recht für Zeitungen. Dabei ist die von Kommunisten mitgetragene Linksregierung noch nicht einmal eine Woche lang im Amt. Unglaublich, wie die Linken der Wirtschaft zusetzen. Vor allem: wie unglaublich schnell.

Die Erklärung kommt im Schlepptau, ein Geheimabkommen wird publik. Der portugiesische Arbeitgeberverband hatte mit der Rechtsregierung und ihrem letzte Woche gestürzten Ex-Regierungschef vereinbart, ­Entlassungen und Pleiten erst nach den Wahlen am 4. Oktober anzukündigen.

Auch die kurz vor einem der letzten Berlin-Besuche der portugiesischen ehemaligen Finanzministerin stolz angekündigten 14 Milliarden Euro Reserven des Pleitelandes Portugal entpuppen sich in ihrer quantischen Natur: Ähnlich wie bei Schrödingers Katzenversuch waren die portugiesischen Geldtresore nur voll, solange man die Tresortüren nicht öffnete und hineinschaute.

Ein Freund und Kollege ruft mich darauf an. Die ehemalige Finanzministerin Maria Luís Albuquerque habe im kleinen Kreis verlauten lassen, Berlin habe „klare Anweisungen“ gegeben, die Fiktion des Musterschülers im Spardiktat „so lange wie möglich aufrechtzu erhalten“. Berlin braucht mehr denn je Vorzeigeschüler in der zerrissenen EU und übersieht: Beim Sparspagat nach Turnvater Schäuble renken sich die Menschen in den Krisenländern die Beine aus.

Die Armenküchen in Portugal arbeiten mit Volldampf. Vor den Lidl- und Aldi-Filialen von Bragança bis Faro stehen die Freiwilligen, katholische Jugendliche, im Kassenbereich und bitten um Spenden für die Armen. Der „Banco Alimentar“, ein privater Verein, konnte in den letzten Tagen im ganzen Land Hunderte Tonnen von gespendeten Lebensmitteln sammeln und wird sie bis Weihnachten verteilen. Von der immer weiter gekürzten Sozialhilfe in Portugal kann schon lange niemand mehr leben.

Christliche Solidarität in Krisenzeiten: An Heiligabend wird im Land niemand hungern. Mal schauen wie der Januar wird. Die Kassenangestellte im Supermarkt hat einen traurigen Blick, eine Frau vor mir legt zwei Packungen Nudeln auf das Fließband und sagt: „Früher gab es bei uns sonntags in der Weihnachtzeit immer Kabeljau.“