heute in Bremen
:

„Geschichte der Repression“

VORTRAG Am Wochenende erklären ForscherInnen, wie Homosexualität die Musik beeinflusst

Michael Zywietz

:

52, diplomierter Organist, hat Germanistik und Philosophie studiert und ist Professor für Musikwissenschaft in Bremen.

taz: Herr Zywietz, um welche KünstlerInnen wird es auf dem Symposium gehen?

Michael Zywietz: Zentral werden Tschaikowsky, Richard Wagner und Hans Werner Henze sein. Eine prominente weibliche Künstlerin ist die viktorianische Komponistin Ethel Smyth.

Waren die denn alle homosexuell?

Nein. Bei der Untersuchung der Musik kann man sich nicht nur auf bekannte schwule und lesbische MusikerInnen beschränken. Die Geschichte der Homosexuellen ist eine Geschichte der Repression. Deshalb haben viele KünstlerInnen vor 1950 ihre sexuelle Orientierung verborgen und uns sind nur Indizien geblieben. Das ist übrigens ein großes Problem für die Anerkennung in der Wissenschaft, die heute noch Berührungsängste mit dem Thema hat. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Homosexualität kann auch heute noch karriereschädlich sein.

Wie drückt sich Homosexualität in der Musik aus?

Da sind wir im Kern des methodischen Problems. Wir arbeiten mit biografischen Hinweisen wie bei Händel beispielsweise: Während seines Aufenthalts in Rom verkehrte er in Kreisen, deren homosexueller Charakter als relativ gesichert gilt. Die Begegnungen hat er vielfach in seinen Texten verarbeitet.

Kann man das auch hören?Als Merkmal der Musik wird vermutet, dass die Manieriertheit, also die Übersteigerung der Komposition, auf die Homosexualität der KomponistInnen hindeutet.

Wie ist es bei Wagner?

Wagners Musik hat von Anbeginn insbesondere auch ein homosexuelles Publikum fasziniert. Die Faszination war wechselseitig: Wagner verfasste über seinen Umkreis die Schrift „Bayreuth und die Homosexuellen“. Auf die Frage, ob er selbst schwul sei, antwortete er: „Es ist etwas, wovon ich den Verstand, dafür aber keinen Sinn habe.“ In seiner Musik arbeitete er mit untypischen Männlich- und Weiblichkeitskonstruktionen.

Wie erkenntnisfördernd ist dieser Aspekt?

Wir können so neue Erkenntnisse gewinnen und ein Geschichtsbild korrigieren, das Homosexualität in der Musikgeschichte nahezu ausgeblendet hat. Wir sollten endlich die homosexuelle Stimme in der Musikgeschichte hörbar machen.

Interview: Eva Przybyla

Symposium: „Musik und Homosexualität“: Heute ab 11 Uhr, morgen ab 10.30 Uhr, Kammermusiksaal der HfK