WählerInnen verpassen ihrer Regierung einen Denkzettel

Irland Die bisherige Regierungspartei Fine Gael kann nur mit ihrer historischen Gegnerin Fianna Fáil die notwendige Regierungsmehrheit erreichen

Premierminister Enda Kenny Foto: ap

AUS DUBLIN Ralf Sotscheck

Die irische Regierung ist gescheitert. Bei den Parlamentswahlen am Freitag erlitten die Koalitionsparteien Fine Gael und Labour starke Verluste. Zwar blieb Fine Gael knapp die stärkste Partei, aber Labour hat zwei Drittel seiner Wählerschaft eingebüßt und kam nur noch auf 6,6 Prozent. Selbst Parteichefin Joan Burton ist nur um Haaresbreite an einer Niederlage vorbeigeschrammt.

Die Wahlbeteiligung lag bei 65 Prozent. Die konservative Fine Gael erzielte 25,5 Prozent, die ebenso konservative Fianna Fáil lag mit 24,4 Prozent fast gleich­auf. Sinn Féin, der frühere politische Flügel der aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA), kam mit einem relativ linken Programm auf 13,9 Prozent, die linke Anti-Austeritäts-Allianz erhielt 4 Prozent. Drittstärkste Kraft mit fast 18 Prozent sind aber die Parteilosen, ein bunter Haufen diverser Couleurs. Unabhängige Abgeordnete waren in der Vergangenheit bei der Regierungsbildung oft das Zünglein an der Waage, aber diesmal können sie diese Rolle wegen der unklaren ­Mehrheitsverhältnisse nicht spielen.

Das Ergebnis erscheint auf den ersten Blick erstaunlich. Irland war 2015 wie schon im Jahr davor mit 7 Prozent Wachstumssieger in Europa. Die Arbeitslosenquote ist auf 9 Prozent, die Staatsschulden sind von 120 auf 100 Prozent des Bruttoinlands­produkts gesunken. Irland gilt als Musterknabe in der EU, der es durch einen drastischen Sparkurs aus der Krise geschafft hat.

Aber das Wachstum kommt nur den Reichen zugute, die Schere zwischen Arm und Reich ist in den vergangenen fünf Jahren größer geworden. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten steht wegen Lohn- und Gehaltskürzungen sowie Zusatzsteuern schlechter da als zuvor. Hinzu kommt der katastrophale Zustand des Gesundheitswesens. Nur mit einer teuren Zusatzversicherung lässt sich die jahrelange Wartezeit auf eine Operation verkürzen. Vor allem die Labour Party musste das aus­baden, denn ihre Anhänger hatten erwartet, dass die Partei die schlimmsten Auswüchse der Austeritätspolitik verhindern würde.

Die Gegnerschaft zwischen Fine Gael und Fianna Fáil geht auf den Bürgerkrieg von 1922 zurück

„Es ist vollkommen klar, dass die Koalition aus Fine Gael und Labour nicht an die Regierung zurückkehren wird“, räumte Premierminister Enda Kenny schon am Samstag ein, obwohl die Auszählung noch andauerte. In den Auszählungszentren geht es zu wie im Fußballstadion, die Anhänger der Parteien feuern ihre Kandidaten lautstark an. Mit der ersten Zählung der Stimmen ist es nämlich längst nicht getan, denn die Wähler machen auf dem Stimmzettel kein Kreuzchen, sondern nummerieren die Kandidaten in der Reihenfolge ihrer Präferenz. In manchen Fällen müssen die Stimmen deshalb bis zu zehnmal gezählt werden, bevor die Abgeordneten feststehen. Durch die Stimmenübertragung kann ein Kandidat, der nach der Erstauszählung abgeschlagen zu sein scheint, am Ende doch noch gewählt werden.

Er trage die Verantwortung dafür, alles zu unternehmen, um für eine stabile Regierung zu sorgen, sagte Kenny. Aber Sinn Féin lehnt eine Koalition mit Fine Gael oder Fianna Fáil ab. Die einzige Möglichkeit, eine Regierungsmehrheit zu bilden, ist eine Große Koalition. Davor sind aber Fine Gael und Fianna Fáil bisher zurückgeschreckt. Politisch besteht so gut wie kein Unterschied zwischen ihnen, die Gegnerschaft geht auf den Bürgerkrieg von 1922 zurück. Die einen, Fianna Fáil, waren damals gegen den Vertrag mit London, der Nordirland beim Vereinigten Königreich beließ, die anderen, Fine Gael, waren dafür.

Ob die beiden am 10. März, wenn das Parlament zusammentritt, um eine Regierung zu wählen, die historischen Differenzen begraben, ist ungewiss. Vielleicht schicken die Politiker das Stimmvieh aber auch zurück an die Wahlurne, wie sie es bei den Referenden über die EU-Verträge getan haben, als ihnen das Ergebnis nicht passte.Meinung + Diskussion