DIE BERICHTERSTATTUNG ÜBER DIE VOGELGRIPPE WIRD IMMER ABSURDER
: Die Panik vor der Panik

Ob Boulevardzeitungen oder so genannte Qualitätsmedien, die Berichterstattung über die Vogelgrippe funktioniert nach dem gleichen Muster: Mit der Überschrift wird beim Leser ein kleiner Adrenalinstoß ausgelöst, das Kleingedruckte gibt dann Entwarnung. So erfahren wir im Fettgedruckten etwa, dass die Vogelgrippe stündlich näher kommt. Im Text steht dann, dass Massenimpfungen derzeit sinnlos sind und die Gefahr der Übertragung auf Menschen in der EU als gering erachtet wird.

Weder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch die europäischen Gesundheitsminister oder die EU-Kommission sehen derzeit eine akute Gefahr in Europa. Sollte das Virus mutieren, sind nach Ansicht der zuständigen WHO-Direktorin Margaret Chan die Voraussetzungen in Europa deutlich besser, eine Epidemie einzudämmen, als in Asien oder Afrika.

Die Behörden sollen sich auf einen möglichen Ernstfall jetzt schon so gut wie möglich vorbereiten, auch darüber sind sich eigentlich alle einig. Der Berliner Tagesspiegel hat aber genau darin ein neues Risiko erkannt – er schürt zur Abwechslung die Panik vor der Panikmache. Eine europaweite Katastrophenübung sei geplant, stand gestern auf Seite eins zu lesen. Sie „könnte theoretisch so realistisch ausfallen, dass in der EU innerhalb kürzester Zeit Panik ausbricht“.

In Wahrheit handelt es sich um eine Routineübung auf Beamtenebene, die seit Monaten geplant ist. Mit der aktuellen Ausbreitung der Vogelgrippe hat sie nicht das Mindeste zu tun. Die Kommission will testen, ob in einem möglichen Fall einer grenzüberschreitenden Epidemie die Notfallpläne auf dem neuesten Stand sind und der Informationsaustausch zwischen den Behörden der Mitgliedsländer gut funktioniert. Dagegen kann eigentlich niemand etwas haben.

Panik kann schon deshalb nicht entstehen, weil die Bürger von der Übung überhaupt nichts mitbekommen. Es sei denn, eine Zeitung macht es sich zur Herzensangelegenheit, den Adrenalinspiegel ihrer Leser steigen zu lassen.

DANIELA WEINGÄRTNER