Wahre Kunst

In Berlin wurde der Lettre Ulysses Award für Reportage verliehen. Bizarre, fremde, gewalttätige Geschichten

„Die Reportage ist ein schändlich vernachlässigtes Genre“, sagt die Journalistin Isabel Hilton. Sie war Jurorin und Moderatorin des dritten Ulysses Award für Reportage, der letzten Samstag in Berlin verliehen wurde. Der mit insgesamt 100.000 Euro dotierte Preis wurde von der Kulturzeitschrift Lettre vor drei Jahren begründet. In seiner Eröffnungsrede bezeichnet der schwedische Schriftsteller Sven Lindqvist die Reportage als „Wahrheitskunst“, die an die Weltmeinung appellieren müsse. Im Berliner Tipi-Zelt fand dieser Appell in gepflegter Atmosphäre und vor ausgesuchtem Publikum statt: 500 geladene Gäste hörten bei Kerzenschein und einem köstlichen Menü bizarre und gewalttätige Erzählungen von den Brennpunkten dieser Welt. Sponsor der Preisverleihung ist die Hoechst-Nachfolgerfirma Aventis.

Die Texte von sieben FinalistInnen –nur zwei waren nicht anwesend – wurden auszugsweise von hervorragenden Sprechern gelesen. Die Spiegel-Reporterin Carolin Emcke gerät zwischen die Bürgerkriegsfronten in Kolumbien und berichtet eindringlich in Briefen an ihre Freunde davon. Sie gewann den vierten Preis. Den dritten Preis erhielt Riverbend, eine 26-jährige Irakerin, die anonym ihr Internet-Tagebuch „Baghdad Burning“ veröffentlicht hat. Riverbend war nicht in Berlin anwesend. Der „aufgeklärte und linke“ – so bezeichnete er sich selbst – Marokkaner Abdellah Hammoudi pilgerte nach Mekka. Er brach auf mit anthropologischem Blick und machte doch ganz „persönliche, tiefe Erfahrungen“. Er erhielt den zweiten Preis. Siegerin wurde die in England geborene Autorin Alexandra Fuller. Sie schildert ihre Reise mit einem ehemaligen weißen Söldner durch dessen Einsatzgebiete in Sambia, Simbabwe und Mosambik. Für Fuller eine sehr subjektive Reise, denn sie hat ihre Kindheit in Afrika verbracht. In „Scribbling the cat – Travelling with an African soldier“ ist die Reportage nachzulesen. Auch alle anderen Reportagen sind als Buch erhältlich. EDITH KRESTA

www.lettre-ulysses-award.org