Newroz im Schatten des Krieges

TÜRKEI Unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen begehen die Kurden in Diyarbakırihr Neujahrsfest. Angesichts der Kämpfe ist vielen jedoch nicht zum Feiern zumute

Eine Anhängerin der kurdischen PKK am Montag auf der Kundgebung in Diyarbakır Foto: Sedat Suna/dpa

Aus Diyarbakir Inga Rogg

Großräumig hat die Polizei das Gelände rund um den Platz am Stadtrand von Diyarbakır abgeriegelt, wo die türkischen Kurden Newroz, das traditionelle Neujahrsfest, feiern wollen. Wasserwerfer und gepanzerte Fahrzeuge stehen ebenfalls bereit. Penibel kontrollieren die Polizisten und Polizistinnen die Taschen und tasten jeden ab. Aber ihr Blick gilt offenbar nicht nur möglichen Sprengsätzen.

Vor der Absperrung verhandelt ein Beamter mit einer alten Frau, die ein Kleid in den kurdischen Farben Rot, Grün und Gelb trägt, auf dem kleine rote Sterne, das Symbol der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), appliziert sind. „So kommst du hier nicht rein“, sagt er. „Geh nach Hause und zieh dich um.“

Es ist wie in alten Zeiten, als Symbole der PKK verboten waren. Vor einem Jahr war das noch anders, und erst recht vor drei Jahren, als auf der Newroz-Feier in Diyarbakır eine Grußbotschaft des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan verlesen wurde, die den Auftakt für die Friedensverhandlungen bildete. Damals sagte der heutige Präsident Recep Tayyip Erdoğan noch, die PKK lasse sich nicht militärisch besiegen.

Heute herrscht in vielen Orten in den kurdischen Gebieten im Südosten des Landes wieder Krieg. Mehr als drei Monate haben junge Militante in Sur, der Altstadt von Diyabakır gegen ein Großaufgebot von Sondereinheiten gekämpft. Die Kämpfe sind vorbei, doch das Viertel ist von der Polizei umstellt, zu mehreren Quartieren ist der Zutritt nach wie vor verboten. Erst am Morgen hat der von der Regierung eingesetzte Gouverneur die Ausgangssperre in einem anderen Viertel, Baglar, aufgehoben. Die Kämpfe haben Hunderte von Toten gefordert.

Vielen Kurden ist deshalb nicht nach Feiern zumute. „Das ist nicht die Zeit, um zu tanzen und lustig zu sein“, sagt ein Mittzwanziger, der nicht weit vom Newroz-Platz Tee verkauft. „In Silopi, Cizre, Sirnak und hier – jeden Tag sterben Menschen. Menschen verlieren ihre Häuser.“ Andere haben schlicht Angst, dass es einen Anschlag geben könnte. Es sei doch seltsam, dass die Regierung die New­roz-Feiern vielerorts verboten, aber ausgerechnet in der heimlichen Hauptstadt der Kurden erlaube, hören wir immer wieder. Aus ihrer Sicht kann das nur bedeuten, dass dieRegierung Übles im Schilde führt.

Tausende lassen sich aber weder von Angst noch von der gedrückten Stimmung in der Stadt aufhalten. „Wir wollen keinen Krieg“, sagt ein Mann, der sich Mustafa nennt. „Aber die Regierung will uns vernichten. Dagegen leisten wir Widerstand.“ Es sind vor allem Junge und Ältere, die gekommen sind. Trotz der Polizeikontrollen tauchen überall Fahnen der PKK sowie die ihres syrischen Ablegers YPG und die der jungen Militanten auf. Aus den Lautsprechern ertönen berühmte Widerstandslieder, es werden Reden gehalten und es wird getanzt. Punkt zwölf wird das Newroz-Feuer angezündet, dicke, schwarze Rauchschwaden verdunkeln den blauen Frühlingshimmel.

Dann spricht Selahattin Demirtaş, der Kovorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Demirtaşfordert die Wiederaufnahme des Friedensprozesses. „Lasst uns an den Verhandlungstisch zurückkehren und eine neue Sprache des Friedens finden“, sagte Demirtaş. „Wir sind dazu bereit.“ Seine Worte sind kaum verklungen, als die Polizei erneut mit Tränengas gegen eine Gruppe von Demonstranten vorging.