heute in Bremen
: "Windschatten des Krieges"

Kurden Ismail Küpeli berichtet im Ostkurvensaal über den Krieg gegen die Kurden in der Türkei

Ismail Küpeli

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37, ist freier Journalist und Politikwissenschaftler. Er promoviert an der Ruhr-Uni Bochum zum Thema „Kurdische Aufstände in der Türkei“.

taz: Herr Küpeli, als sich der Konflikt zwischen Kurden und türkischem Militär zuspitzte, glaubten viele an Säbelrasseln im Wahlkampf. Was ist seit den Wahlen im November passiert?

Ismail Küpeli: Ich dachte auch, die AKP würde den Krieg hochfahren, um die Wahl zu gewinnen. Tatsächlich hat sich die Lage danach nochmal deutlich verschärft. Auch die Massentötungen von Cizre fanden nach den Wahlen statt. Erst seitdem sprechen die deutschen Medien überhaupt erst von einem Krieg.

Wenn es also nicht um Stimmen geht, worum dann?

Ich bin nach meinem Irrtum vorsichtig mit neuen Einschätzungen. Eine These ist aber, dass die AKP nun versucht, ihren Umbau der Türkei zu einer Präsidialdiktatur – oder einem Präsidialsystem – im Windschatten des Krieges voranzubringen. Erdogan hat gesagt, das neue System sei bereits da und müsse nun verankert werden. Der Krieg schafft neue Mehrheiten.

Wie meinen Sie das?

Der AKP fehlen für die Volksabstimmung zur Aufwertung des Präsidentenamtes elf Sitze im Parlament. Die militärische Lösung des Kurdenkonflikts war bislang Programm der rechten Nationalistenpartei MHP, der sich die AKP nun angenähert hat. Der Krieg bringt diese Parteien zusammen.

Nach Bremen wurden Sie nun von linken Ultras eingeladen, die Erdogans Sturz bereits im Werder-Fanblock gefordert haben. Wie steht es sonst um linke Solidarität, wie sie etwa die jesidischen Kämpfer gegen die IS erfahren?

Die Unterstützung ist in der Türkei-Frage nicht so eindeutig. Das hat auch mit Feindbildern zu tun. Der IS in Syrien ist ein gemeinsamer Feind. Da konnten viele darüber hinwegsehen, was sie sonst so von den Kurden halten. Bei der Türkei ist das anders, der Konflikt ist komplizierter wegen der vielen verschiedenen kurdischen Parteien und Milizen.

Die deutsche Bundesregierung hat der Türkei im Januar Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zugesagt. Da stand die PKK in einer Reihe mit dem IS. Welchen Anteil hat die PKK an der Eskalation?

Die PKK hat nach Eigendarstellung keine Kämpfer in der Region. Tatsächlich sind viele Einheiten in Syrien gebunden. Die Partei steht selbst unter Druck, weil sie vielen Kurden nicht militant genug agiert. Die Frage ist gerade, ob man die Kämpfe intensivieren, oder doch wieder Verhandlungen aufnehmen sollte.

Glauben Sie denn, dass Erdogan solche Angebote annehmen würde?

Zurzeit hat Erdogan daran kein Interesse, weil die AKP eben vom Krieg profitiert. Eine Schwachstelle der Strategie sind möglicherweise aber die hohen Opferzahlen unter Soldaten und Polizisten. Das könnte langfristig zu Widerstand innerhalb der Armee führen.

Und wenn nicht?

Viele hoffen auch auf Druck von Außen, aber danach sieht es zurzeit nicht aus. Die EU hat sich wegen der Flüchtlingsfrage auf Seiten der Türkei positioniert. Und selbst wenn sich das wieder ändern sollte, reden wir hier nicht von einem Ende in wenigen Monaten. Das kann sich noch Jahre hinziehen.

Interview: Jan-Paul Koopmann

Vortrag: 19 Uhr, Ostkurvensaal im Weserstadion