Herr Margull im Tiefdruckgebiet

Handwerk 16 Jahre arbeitete der Drucker Fritz Margull in seinem Neuköllner Atelier. Für Günter Grass, für Künstler wie Jonathan Meese oder Max Neumann. Nun muss er raus

Die Art von Druck, die Fritz Margull kann, reproduziert nicht nur Kunst. Sie bringt oft erst das Kunstwerk hervor Foto: Roman Kutzowitz

von Susanne Messmer

An der Wand des Ateliers hängen zwei Drucke des Malers Max Neumann. Auf dem rechten ein gesichtsloser Mensch, eine Maske, anonym, fast rätselhaft, unheimlich. Das Schwarz der Maske gähnt einen geradezu an, es saugt alles Licht auf, so schwarz ist es.

„Sehen Sie“, wird der 71-jährige Drucker Fritz Margull, der 16 Jahre hier gearbeitet hat, später sagen. „So etwas kann eben nur der Tiefdruck.“ Er wird an seinem Päckchen Schwarzer- Krauser-Tabak nesteln und fortfahren: „Beim Tiefdruck muss das Papier feuchten. Die Fasern richten sich auf. Dann wird die Farbe aus den Vertiefungen der Druckplatte mit hohem Druck aufs Papier gebracht. Am Ende wirkt es, als würde sie aus dem Papier kommen.“

Drucker Fritz Margull, 71 Jahre alt, sitzt am Schreibtisch seines hellen, freundlichen und doch fast leergeräumten Ateliers in einer weiß getünchten, ehemaligen Kutscherremise in der Rixdorfer Uthmannstraße. Er versteht es, vom Besonderen seines selten gewordenen Handwerks zu erzählen. Doch so groß seine Ruhe und Hingabe wirken, die er ausstrahlt, wenn er vom Drucken spricht, so groß muss seine Fassungslosigkeit gewesen sein, als Ende September die Kündigung kam.

Fritz Margull bot mehr Miete. Er sammelte Unterschriften bei Prominenten wie Ute Grass, der Witwe von Günter Grass – und Künstlern wie Martin Assig, die ihn kennen und mit ihm gearbeitet haben. Der Vermieter, Harald Victor Kopp, besitzt mehrere Immobilien in Neukölln und ist nicht bekannt für Spekulation oder Wuchermieten. Er sagt, er habe eine „Entscheidung getroffen, die sicher auch zur weiteren Förderung der Kunst in Neukölln beiträgt“.

Bis Ende dieser Woche muss Fritz Margull raus. Und damit verschwindet eines der letzten Ateliers für künstlerische Grafik in Berlin, das Holzschnitt, Linoldruck und Tiefdruck kann – wo Künstler Radierungen machen können, aber auch einfach nur mit einer Idee aufschlagen, um sie mit dem Drucker zu entwickeln.

Die Lager sind fast geräumt

Nur die beiden Druckerpressen stehen noch dort. Eine davon ist 1,40 mal 3 Meter groß und wiegt drei Tonnen – eine Sonderanfertigung in seinem Auftrag, die größte Presse Deutschlands. Jetzt geht sie ins Künstlerhaus Bethanien. „Das berührt mich sehr“, sagt Margull mit einem zufriedenen Lächeln und ergänzt: „Hier geht sie gut raus, aber im Bethanien müssen sie eine Wand einreißen, damit sie reingeht.“

„Es gibt nur noch wenige in Berlin, die auf ähnlichem Niveau drucken können“, sagt Andreas Krüger, ehemaliger Geschäftsführer des Kreativkaufhauses Modulor am Moritzplatz, heute Geschäftsführer der Belius Stiftung, einer Beratungsgesellschaft für die Kreativwirtschaft. Seine Bemühungen, für Margull einen neuen Ort zu finden, blieben ohne Ergebnis.

„Eine Katastrophe“, sagt auch Dieter Schimmelpfennig, Leiter der Werkstatt für Tiefdruck- und Lithografie an der Kunsthochschule Weißensee. „Dieses Handwerk stirbt aus“, meint er. Grund seien unter anderem die neuen, digitalen Drucktechniken. Ein weiterer Grund ist sicher auch, dass viele junge Künstler heute, wenn sie trotzdem mal wieder etwas zum Anfassen wollen, schwere Maschinen und hartes Werkzeug zum Beispiel –, dass diese jungen Leute eher zu Siebdruck greifen, zum Druck des armen Mannes, der weniger elitär daherkommt, weil er nicht so teuer ist und so komplex.

Auch Fritz Margulls Weg begann mit einer Siebdruckerlehre in Stuttgart, beginnt er zu erzählen, nachdem er den Espresso serviert hat. 1967 ging er nach Berlin, eine aufregende Zeit, findet er. „Aber weil ich mich zunächst als Drucker fest anstellen ließ, konnte ich nur Wochenenddemonstrant sein.“ Dennoch trieb sich Margull in Jazzclubs herum, in Galerien, dann auch in der Hausbesetzerszene. Mit 25 Jahren übernahm er einen Lehrauftrag an der Hochschule der Künste, die heute Universität der Künste heißt.

Der Künstler Max Neumann, dessen Grafik mit der schwarzen Maske noch immer sein Atelier ziert, empfahl Fritz Margull an eine berühmte Pariser Druckerei, die Kunden hatten wie Picasso und Matisse – und da ging alles richtig los, wie er sagt. Damals druckte er schon mit dem Schriftsteller Günter Grass – eine Arbeitsgemeinschaft, die 40 Jahre halten sollte: Zuletzt war der Nobelpreisträger im Jahr 2011 bei Margull in Neukölln. Für seinen Radierzyklus zu „Hundejahre“, der zum 50. Jubiläum des Romans erschien.

Margull versteht es, vom Besonderen des seltenen Handwerks zu erzählen

Wer an Kunstdruck denkt, der denkt oft an Reproduktion und deren Ziel, Kunst für die breitere Masse erschwinglich zu machen. Doch die Art von Druck, die Fritz Margull kann, reproduziert nicht nur Kunst. Sie bringt oft erst das Kunstwerk hervor. „In den 16 Jahren, seit ich hier bin, kamen zwei Leute mit fertigen Druckplatten zu mir“, sagt er selbst.

Einmal zum Beispiel wollte eine Galerie eine Porträtserie von Jonathan Meese. Aber Meese arbeitet schnell, er frickelt nicht gern, das Radieren, wie es Grass mochte, der gelernte Steinmetz und studierte Bildhauer Grass, wäre nichts für ihn gewesen – dieses „furchtlose, unwiederbringliche Ritzen einer blanken Kupferplatte mit einer Stahlnadel“, wie Margull es beschreibt. Also dachte sich Margull etwas anderes aus. Er schlug Meese vor, Tusche mit Puderzucker zu mischen und mit dem Pinsel direkt auf die Druckplatte zu malen. Beim sogenannten Sugar Lift sorgen Ätzgrund und Bad im Anschluss für die Vertiefungen, in denen sich die Farbe sammelt, die später aufs Papier soll. So entstand eine Porträtserie von Meeses Mutter. Die Drucke wirken erstaunlich hingeworfen, und das ist besonders beim Tiefdruck.

Und trotzdem stimmt das Ende seines Ateliers ihn wehmütig, den Drucker Fritz Margull. Das sagt er nicht nur, das kann man auch in seinem Gesicht sehen. Denn dieses Ende bedeutet auch das Ende seines Berufslebens. Er hatte Angebote, ins Modulor-Haus am Moritzplatz zu ziehen und ins Gebäude der Geyer-Werke. „Aber mir fehlt die Kraft, noch einmal etwas Neues zu entwickeln“, sagt er.

Gern hätte er in seiner Remise noch zwei oder drei Jahre weitergearbeitet, vielleicht einen Nachfolger gefunden, vielleicht einen Künstler, der das alles hier als Grundstock nutzt. Nun kann er die Verfahren, die er kann und die, die er selbst entwickelt hat und die er nur durchs Machen vermitteln könnte, nicht weitergeben. Nur ab und zu wird er noch mal drucken, das will er schon noch, in einem befreundeten Atelier in Brandenburg.

„Mal sehen, wie’s wird“, sagt er schulterzuckend. Und dann dreht er sich noch eine.