„Und sagen Sie nicht, es werde schon keiner eine Schneise durch Prenz-lauer Berg schlagen“

Das bleibt von der Woche Der 1. Mai geht mal wieder erstaunlich ruhig über die Bühne, das Scheitern der Länderfusion von Berlin und Brandenburg vor 20 Jahren wird einfach vergessen, die A 100 soll länger werden als gedacht, und das Gallery Weekend lockt Zehntausende Kunstfans

Ohne Stau durchs MyFest

Ruhiger Maifeiertag

Keine Action-Videos mehr, mit denen man vor den Freunden in Ulm prahlen kann

Dass es leer war auf dem MyFest, lässt sich nicht sagen, aber der Gang durch die Oranienstraße endete letzten Sonntag schlimmstenfalls im zäh fließenden Verkehr, nicht wie früher im Stau. Auch der unangemeldete Aufzug, der sich mit bis zu 5.000 Teilnehmern mitten durchs Fest zum offiziellen Auftakt der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ am Moritzplatz bewegte, kam ohne Probleme voran.

Im Vorfeld hatte die Polizei angekündigt, maximal 60.000 Menschen auf das Gelände zu lassen. Das gelang quasi von selbst – nur vereinzelt mussten Beamte die Zugänge zur Partymeile schließen. Viele potenzielle Gäste suchten sich offenbar aus Angst vor verschlossenen Toren andere Orte. Ein Blick auf die Menschenmassen, die sich im Görlitzer oder Treptower Park vergnügten, spricht dafür. Diejenigen die es dennoch ins Zentrum von SO36 zog, hatten angesichts weniger Bühnen und Verkaufsstände deutlich mehr Platz zur Verfügung.

Weniger los als in den vergangenen Jahren war auch auf der traditionellen 18-Uhr-Demo. Statt den zuletzt 20.000 Menschen beteiligten sich nach durchaus realistischen Schätzungen der Polizei nur etwa 13.000. Beobachter sahen den Zug dafür deutlich politischer, die Event-Touristen blieben in der Minderheit. Womöglich hat sich herumgesprochen, dass sich Berlins gefürchtetste Demo im vergangenen Jahrzehnt normalisiert hat. Die großen Krawalle sind nicht mehr zu erwarten, keine Super-Action-Videos, mit denen man vor den Freunden in Ulm prahlen kann. Nichtsdestotrotz: Die Dichte der gezückten Smart­phones am Wegesrand war enorm.

Eine zweite Interpretation des Schwindens der Teilnehmerzahl findet sich im Streit innerhalb des Demo-Bündnisses über die Teilnahme von propalästinensischen ­Gruppen, denen etwa die ehemalige Grünen-Mitbegründerin Jutta Ditfurth Antisemitismus unterstellt. Ditfurths Partei, Ökologische Linke, hatte das Bündnis verlassen – viele eher „antideutsch“ gesinnte Linke dürften ihr gefolgt sein. Wie vehement der Streit ausgetragen wird, zeigte sich während der Demo, als Teilnehmer am Rande stehende Mitglieder der Ökologischen Linken attackierten.

Erik Peter

Eine nicht ganz so
wilde Ehe

Gescheiterte Länderfusion

Die Vorbehalte gegen ein dominierendes Berlin blieben ­letztlich zu stark

Normalerweise wird an dieser Stelle auf Ereignisse der jüngsten Woche geblickt, die nicht so schnell in Vergessenheit geraten (dürfen). Ganz selten kann es auch ein Nichtereignis in diese Kategorie schaffen: keine Randale am 1. Mai (hat nicht ganz geklappt, aber fast – siehe Text links); keine Peinlichkeit von AfD-Chefin Storch (nahe dran); und eben: Keiner erinnert sich mehr an das Scheitern der Länderfusion von Berlin und Brandenburg vor genau 20 Jahren.

Am 5. Mai 1996 stimmten die Brandenburger und Berliner über einen Staatsvertrag zur Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes ab, den ihre jeweiligen Parlamente bereits abgesegnet hatten. Doch die Bürger waren anderer Meinung als die Politik: Nur die Westberliner stimmten dafür; die Ostberliner und die Brandenburger deutlich dagegen. Die Vorbehalte in der Mark gegen ein dominierendes Berlin waren schlicht zu stark.

Dennoch blieb eine Fusion weiterhin das Ziel vieler Parteien in beiden Ländern; regelmäßig räsonierten Politiker darüber, wie schön es wäre, wenn es doch noch – und gerne recht bald – zur Länderehe kommen würde. Ausgerechnet in diesem Jahr blieben nun die zum Jahrestag obligaten Pressemitteilungen und Medienberichte aus: Haben denn alle den Jahrestag vergessen?

Wahrscheinlich ist das die schlichte Wahrheit. Denn zu deutlich blieb bis zuletzt die Ablehnung der Brandenburger; keine Partei wollte einen neuen Anlauf – und eine neue Schlappe – riskieren. Und vielleicht ist auch der symbolische Wert einer Fusion zw­ischen Ost und West mehr als 25 Jahre nach dem Mauerfall nicht mehr so groß.

Zumal Berlin und Brandenburg zwar nicht verheiratet, aber durchaus miteinander ins Bett gegangen sind: Es gibt längst gemeinsame Gerichte und Bildungseinrichtungen, eine gemeinsame Rundfunkanstalt und eine gemeinsame Filmförderung. Sex vor der Ehe ist gesellschaftlich längst akzeptiert, mit der Folge, dass die Ehe letztlich oft gar nicht mehr geschlossen wird. So darf es auch bei den beiden Ländern sein. Bert Schulz

Es kommt immer noch was hinterher

A 100 wächst und wächst

Verkehrs-Kassandra Harald Wolf hält auch einen 18. Bauabschnitt für möglich

Vor Verrücktheiten sei man in der Politik ja nie gefeit, sagte Harald Wolf, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion, am Mittwoch in der taz. Er meinte damit, dass die Verantwortlichen in Sachen Ausbau der Stadtautobahn A 100 es fertigbringen, immer genau dann eine Schippe Zement nachzulegen, wenn man das Mammutprojekt für abgeschlossen hält.

Zur Erinnerung: Den 16. Bauabschnitt – das sind die 3 Kilometer, die gerade für rund eine halbe Milliarde Euro vom Autobahndreieck Neukölln zum Treptower Park gebaut werden – hätte die SPD-Basis einmal vernünftigerweise fast verhindert. Aber der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und sein Verkehrssenator Michael Müller wollten den Ausbau, und die Parteispitze ackerte, bis sie den Anti-Beton-Beschluss gekippt hatte.

Dann sah es eine Zeit lang so aus, als komme der Spuk am Treptower Park tatsächlich zu einem Ende. Dass der 17. Bauabschnitt vom Treptower Park bis zur Frankfurter Allee quasi zwangsläufig folgen musste, wie notorische Ökoskeptiker munkelten, bestritt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vehement. Nur um nach Aufnahme der Bauarbeiten für den 16. Bauabschnitt zu verkünden, der 17. sei durchaus gewollt, weil ja die Verlängerung nur richtig Sinn habe, wenn die Autos nicht alle kurz vor der Elsenbrücke von der Bundesfernstraße gespült würden.

Und jetzt? Hat das Bundesverkehrsministerium Fakten geschaffen, indem es diesen 17. Bauabschnitt einfach schon als „im Bau“ umdefiniert hat. Das macht es viel schwieriger, das Projekt noch zu verhindern – aber zumindest der Senat will es ja auch gar nicht verhindern. Dass die Autobahn inzwischen auch nicht mehr an der Frankfurter Allee, sondern einen Kilometer weiter nördlich an der Storkower Straße enden soll, ist da kaum noch der Rede wert.

Deshalb sollte man die Verkehrs-Kassandra Harald Wolf, die auch einen 18. Bauabschnitt für möglich hält, sehr ernst nehmen. Und sagen Sie nicht, es werde schon keiner eine Schneise durch Prenzlauer Berg schlagen. Für ein paar hundert Millionen extra dürfte auch da eine Spezialtunnellösung zu haben sein. Claudius Prößer

Verkaufs-­bilanz mit Geschmäckle

Gallery Weekend

Der Projektraum Vesselroom Project muss pausieren – die Förderung blieb aus

Wer sich die Kunst aufs Brot schmiert und dann die Hälfte wegwirft oder besser noch sich mit ihr den Arsch abwischt, hat sie nicht verdient. Zugegeben, ohne das mitgehörte Gerede über die private Yacht wäre das Gallery Weekend am vergangenen Wochenende auch langweilig gewesen. Schade nur, dass es so ein selbstzufriedener Schiffsbesitzer nicht schafft, die Jacke zur Seite zu nehmen, wenn sich jemand setzten will. Raumanspruch als unfreiwillige Performance. Fast so überzeugend wie „Harry“ im Maßanzug, der es sich – endlich von seiner Entourage auf einer Terrasse entdeckt – nicht nehmen ließ, an die Hauswand zu pinkeln. Voll anarchistisch. Wer will schon in der Kloschlange anstehen, wenn er Geld zu investieren hat.

Nun gut, warum sich über das Publikum aufregen, für das das Gallery Weekend ausgerichtet wird und das die Marketingstrategie gerne annimmt. Rund 1.200 Gäste folgten der Einladung, das Laufpublikum summierte sich auf rund 25.000. Insgesamt 54 Galerien stellten das offizielle Programm und waren laut Abschlussbericht mit der Verkaufsbilanz sehr zufrieden.

Dass arme Kunst auch nicht automatisch authentischer oder besser ist – geschenkt. Aber inmitten des Kunstmarathons zu erfahren, dass ein Projektraum wie Vesselroom Project von Cristina Morena García bis auf Weiteres pausieren muss, weil das Geld nicht mehr reicht und Förderung ausblieb, ließ das ganze Unterfangen am Ende sehr bitter erscheinen. Künstler_innen wie Alonah Rodeh, Christoph Both-Asmus und Anita Ackermann konnten hier völlig frei arbeiten, und jetzt ist nach nur zwei Jahren unfreiwillig Pause.

Sosehr die Projekträume auch von Berliner Institutionen wie der Art Week gefeiert werden, besser gestellt sind sie dadurch noch lange nicht. Eine nachhaltige Finanzierungsstruktur fehlt.

Dass die von Sarah Johanna Theurer kuratierte und vorerst letzte Ausstellung bei Vesselroom „fine“ hieß, dürfte kein Zufall sein, es ist eben nichts „fein“, sondern zu vieles unnötig schwer. Markues extrem reduzierte Installation aus Drahtseil und Betttuch referierte Rosi Braidottis Ausführung zu nomadischen Subjektivitäten. Umgestülpte Speisetabletts von Adam Asnan fungierten als Resonanzkörper. Eine dröhnende Abbildung der räumlichen Prekarität (Finissage am Sonntag, 13 bis 20 Uhr, Adalbertstraße 4). Die bezeichnendste Ausstellung des Wochenendes – und das nicht nur, weil Vesselroom am ach so anarchistischen Kotti zu Hause ist, wo die Medien seit einigen Wochen jeder Urinspur nachschnüffeln. Komisch, war doch Serranos „Piss Christ“ kürzlich noch in Venedig zu bewundern. Noemi Molitor