„Lassen uns nicht entmutigen“

TERROR Nach der Amoktat in Würzburg übernimmt die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen. In Ochsenfurt wollen sich Flüchtlingshelfer weiter engagieren

Die Stille danach: ein Polizeiauto nahe dem Tatort bei Würzburg Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Aus Ochsenfurt und Berlin C. Schmidt-Lunau undK. Litschko

Am Tag nach der Tat kehrt Alltag in das kleine Ochsenfurt ein. In der Fußgängerzone sitzen Touristen aus Holland, die von der Aufregung nichts mitbekommen haben. Auf dem Mainuferweg treten Radfahrer in die Pedale. Bürgermeister Peter Juks, der am Vortag in zahlreichen Interviews seine Betroffenheit zu Protokoll gegeben und vor Pauschalverurteilungen gewarnt hatte, ist dienstlich in Aschaffenburg. Im „Neuen Rathaus“ aus dem 15. Jahrhundert wiederholt Dienststellenleiter Wolfgang Duschner die Worte der Ratlosigkeit: „Es ist ein schockierendes Ereignis, unvorstellbar.“

Tags zuvor hatte hier ein jugendlicher Flüchtling, der im Juni 2015 nach Deutschland eingereist war, in einer Regionalbahn vier Personen mit einem Messer und Beil schwer verletzt, auf seiner Flucht attackierte er noch eine Passantin. Dann erschoss ihn die Polizei.

Der Alltag in Ochsenfurt trügt. Denn zwei der Opfer schwebten auch am Mittwoch noch in Lebensgefahr. Und am Nachmittag übernimmt der oberste Strafverfolger den Fall: der Bundesanwalt. Es bestehe der Verdacht, dass der Attentäter als IS-Mitglied handelte. Daher sei die Beteiligung von Mittätern und Hintermännern zu prüfen. Hinweise darauf gibt es laut Ermittlern bisher nicht.

Eine IS-Agentur hatte den Täter als „Kämpfer des IS“ bezeichnet. Auch der Jugendliche hatte sich so in einem Abschiedsvideo bezeichnet und angekündigt, Ungläubige „abzuschlachten“. Das Video bezeichnen Sicherheitsbehörden als authentisch.

Andere Fragen aber bleiben. Wie heißt der Täter wirklich? Der IS nannte ihn Muhammad Ri­yadh, in Deutschland registriert war er aber als Riaz Khan A. Ist er tatsächlich erst 17 Jahre und Afghane, wie er Ämtern sagte? In seinem Zimmer bei einer Pflegefamilie fand sich ein pakistanisches Dokument. Und das Paschtu, das er auf dem Video spricht, wird in Pakistan wie in Afghanistan gesprochen.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) betont, dass der Täter einen Antrag auf Familiennachzug gestellt habe, der sich auf Afghanistan bezog. Auch habe ihn die Information über einen verunglückten Freund in Afghanistan zuletzt aufgewühlt.

De Maizière spricht von einem Einzeltäter, der „sich von der Propaganda des IS angestachelt fühlte“. Hinweise auf eine Tatanordnung gebe es nicht. Er forderte als Reaktion mehr Polizisten, Videoüberwachung und bessere Ausrüstung von Beamten, etwa mit Bodycams.

„Machen Sie bitte weiter“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière an Flüchtlingshelfer

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht von einem „schockierenden“ Angriff. Ihr Sprecher warnt aber vor einem Generalverdacht gegen Flüchtlinge. „Die grausame Tat eines Einzelnen kann nicht eine Gruppe von vielen Tausend diskreditieren.“

Auch Flüchtlingshelfer fordern, keine Stigmatisierung zuzulassen. Man dürfe nun nicht alle jungen Flüchtlinge unter Terrorverdacht stellen, heißt es etwa vom Bundesverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Die beste Prävention sei „gute Betreuung“. Auch der Zentralrat der Muslime warnt vor einer „Spaltung der Gesellschaft“. De Maizière appelliert an Flüchtlingshelfer, sich von der Tat nicht abhalten zu lassen. „Machen Sie bitte weiter.“

In Ochsenfurt haben sich viele Menschen für die jungen Flüchtlinge vor Ort eingesetzt. „Wir lassen uns nicht entmutigen“, sagt Alois Hanke vom Helferkreis. Vorm Kolpinghaus, in dem der Attentäter mit mehreren unbegleiteten jungen Flüchtlingen vor der Zeit in der Pflegefamilie wohnte, stehen zwei Einsatzwagen der Polizei. Journalisten sind hier unerwünscht. Die Jugendlichen brauchten jetzt noch mehr Schutz als zuvor, sagt ein Beamter. „Das Leben geht schließlich weiter“, hatte auch der Dienststellenleiter im Rathaus gesagt. Um die Ecke im Schaufenster hängt die Bild-Zeitung mit dem Foto des „Axtmörders“.