Moor, ein Ort für Geister, Dämonen & Leichen

„O schaurig ist’s übers Moor zu gehn“, dichtete Anette von Droste-Hülshoff 1844 in ihrer Ballade „Der Knabe im Moor“: „Wenn es wimmelt vom Heiderauche,/ Sich wie Phantome die Dünste drehen/ Und die Ranke häkelt am Strauche.“ Die Sümpfe sind Orte der Angst und der Faszination. Wohl schon immer fürchteten die Menschen sie als Wohnorte von Geistern und Dämonen. Eine Furcht, die sich allerdings aus einer realen Gefahr speiste. Mit der zunehmenden Trockenlegung ab dem 17. Jahrhundert wurde das Moor zu einem Ort zwischen den Welten. Es grenzt – anders als Wüste oder Dschungel, die sich immer weit draußen befinden – direkt an unsere Welt und ist der fließende Übergang zwischen ihr und der bedrohlichen Wildnis. Eine vermoderte Schwelle zur barbarischen Natur, die, wenn man nicht darauf achtet wohin man tritt, schnell wegbrechen kann. Durch Torfabbau zwar ur- und nutzbar gemacht, aber doch nie vollständig trocken gelegt, eignet sich das Moor als Chiffre für die Durchlässigkeit unserer Konventionen und Zivilisationstechniken. Ob in dem Gedicht von Annette Droste-Hülshoff oder in Sir Arthur Conan Doyles „Der Hund von Baskerville“, es gilt immer: Irgend etwas bleibt kleben, ganz abschütteln lässt die unheimliche Natur sich nicht. Obwohl die bedrohlichen Sümpfe inzwischen zu bedrohten Feuchtbiotopen geworden sind, trägt die Metapher auch heute noch. Der alltägliche Sprachgebrauch kennt Korruptions- und Sympathisantensümpfe, die allesamt der Trockenlegung bedürften; und wer sich abends allzu enthemmt die Kante gibt, droht zu versumpfen. Der vor sechs Jahren erschienene „Regenroman“ von Karen Duve schreibt die Metaphorik literarisch fort. In einem abbruchreifen Haus am Rande des mecklenburgischen Moores kämpft der Schriftsteller Leon einen Zweifrontenkrieg gegen sein eigenes Unvermögen und die auflösende Kraft des ununterbrochenen Regens. Das Moor vor seinem Grundstück ist Gefahr und Verlockung zugleich. Am Ende zerstört es Haus und Protagonisten, „Zurück zur Natur“ und Erstickungstod fallen zusammen: „Schlamm drang in seinen Mund und in seine Nase, Schlamm füllte seine Gehörgänge und jede Falte seines Körpers. Leon schmatzte und schluckte, füllte seinen Magen mit Schlamm und Dunkelheit. Wie gut es war, Moder unter Moder zu sein. Leon sank zurück in den Schoß seiner wahren Mutter. Irgendwann war er geboren worden, und jetzt starb er, und was sich dazwischen ereignet hatte, machte, wenn man es streng betrachtete, nicht viel Sinn.“ Leon endet als Moorleiche, im Gegensatz zum Knaben aus Droste-Hülshoffs Biedermeier-Ballade, der noch einmal davonkommt: „Da mählich gründet der Boden sich/ Und drüben, neben der Weide/ Die Lampe flimmert so heimatlich/ Der Knabe steht an der Scheide/ Tief atmet er auf, zum Moor zurück/ Noch immer wirft er den scheuen Blick:/ Ja, im Geröhre war’s fürchterlich/ O schaurig war’s in der Heide!“ Benjamin Moldenhauer