Schwere Hinterlassenschaft

Beton Die Ausstellung „Oppressive Architecture“ im Schwerbelastungskörper widmet sich dem KZ-Bau der Nationalsozialisten

Gesche Würfel, „Waschbecken im ehemaligen NS-Zwangsarbeiterlager Niederschöneweide“ Foto: Gesche Würfel

Der Ort ist so beeindruckend wie abstoßend: Ein mehrstöckiger Betonzylinder ragt aus dem Grün neben der S-Bahn-Trasse kurz vor dem Bahnhof Südkreuz heraus. Der Beton wirkt brüchig. Risse sind mit andersfarbigem Mörtel gefüllt. Geht man in den Zylinder, entdeckt man Hohlräume.

Eingelassen in das Betonmonster waren Messkammern. Der Zylinder selbst war ein Messgerät. Hitlers Baumeister Albert Speer wollte damit testen, ob der Baugrund stabil genug war, um den geplanten gigantischen Triumphbogen im Ensemble der Speer’schen Nord-Süd-Achse hin zu Reichstag und Brandenburger Tor überhaupt halten zu können. Die Messungen ergaben: Das war er nicht. Aber der Krieg war da schon längst zu Ende, sodass die Planungen zur Hauptstadt „Germania“ allesamt Makulatur wurden.

Der Schwerbelastungskörper aber war nicht so leicht wegzukriegen. Der Koloss ist die wohl erstaunlichste Hinterlassenschaft nationalsozialistischen Bauens in Berlin: ein technisches Bauwerk, ein Hilfsmittel, sonst nichts. Rationalität pur.

In diese Rationalität in Reinform hat die Künstlerin Gesche Würfel andere Zeugnisse der Rationalität des NS-Regimes, einer obszön übersteigerten, in ihrer Menschenfeindlichkeit kaum ermessbaren Rationalität, eingefügt. Würfel zeigt Aufnahmen der Architektur von NS-Konzentrationslagern.

Beton ist auch hier zu sehen. In einem betonierten und fast leeren Raum nur ein Objekt. „Seziertisch, Konzentrationslager Sachsenhausen“ erklärt die Bildlegende. Wissenschaftlich bis über den Vernichtungstod hinaus, das war auch eine Seite des Nationalsozialismus. Daneben ein Zellengang im Konzentrationslager Ravensbrück. Klar, die Gefängnisarchitektur ist keine genuine Leistung der nationalsozialistischen Disziplinierungsgesellschaft; das gab es vorher und gibt es auch jetzt. Aber die wüste Gewalt, die allein von dieser architektonischen Beton-Stahl-Kombination ausgeht, korrespondiert auf verblüffende Weise mit dem Innenbereich des riesigen Betonkorkens, der zum Belastungsmessen für das neue „Germania“ entwickelt wurde.

Rasen und Gesträuch

Im Außenbereich setzen sich die Analogien fort. Rasen und Gesträuch umgeben den Betonkoloss. Rasen und Gesträuch haben auch das Areal der früheren Konzentrationslager erobert. Grün umrahmt sind jetzt etwa auch die originalgetreuen Nachbauten der Latrinengebäude von Auschwitz, die Würfel zeigt. Rasen und Gesträuch haben ebenfalls die Steinhaussiedlung des ehemaligen Sonderlagers Sachsenhausen wieder erobert.

Einen anderen Akzent setzt Würfel mit Aufnahmen vom ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Mit Sandstein und Marmor verkleidete Tribünenanlagen sind dort zu sehen. Das Material ist also anders, edler als der pure Beton, der aber doch meist darunter liegt und all das Gewicht der Verkleidungen und Verschönerungen tragen muss.

Gesche Würfel wirft mit diesem Ausstellungsprojekt am ungewöhnlichen Ort einen interessanten Blick auf die Herrschaftsarchitektur der nationalsozialistischen Zeit. Bezüge zwischen Terror- und Einschüchtungsarchitektur einerseits und Prunk- und Repräsentationsarchitektur andererseits werden deutlich. Bindeglied ist die Funktionalität. Das Morden und Vernichten wurde auch architektonisch durchgeplant. Und mochte sich die Repräsentationsarchitektur mit ihren antikisierenden Anleihen strenger Funktionalität entziehen, so war der Bau- und Planungsprozess doch höchst rational – und zeitigte wegen der enormen Dimensionen des zu Bauenden jene größenwahnsinnige Übersteigerung, die charakteristisch für NS-Kultur war. „Oppressive Architecture“ öffnet für diesen Zusammenhang sehr eindrücklich die Augen. Tom Mustroph

Bis 30. 10., Informationsort Schwerbelastungskörper, Di., Mi. 14–18, So. 10–18, So. 13–16 Uhr, www.schwerbelastungskoerper.de