Portalpraxis statt Notaufnahme

Gesundheit Die Notfallversorgung ist am Limit, Krankenkassen fordern deshalb ein neues System

BERLIN taz | Schnupfen oder Husten und der erste Gedanke: Ab ins Krankenhaus. Immer mehr Menschen melden sich auch mit Bagatellerkrankungen in Kliniken als Notfall. Mit der steigenden Patientenzahl sind Krankenhäuser oft überfordert, überfüllte Gänge und lange Wartezeiten sind die Folge.

„Zwei Drittel der Notfallpatienten könnte man auch ambulant behandeln“, sagt Joachim Szecsenyi, der als Forscher des Göttinger Aqua-Instituts an einem Gutachten zur Verbesserung der Notfallversorgung mitarbeitete. Im Auftrag des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) entwickelte er Empfehlungen. „Ein großes Problem ist, dass die Zuständigkeiten aus Patientensicht oft unklar sind. Zudem können viele ihr gesundheitliches Problem nicht richtig einschätzen“, sagt Szecsenyi, die Lösung seien transparente und einheitlichere Strukturen.

Auf die derzeit 1.600 Krankenhäuser in Deutschland kommen etwa 600 Notarztpraxen sowie einige Fahrdienste. Rund 85 Prozent der Notarztpraxen sind bereits an eine Klinik angegliedert. Der vdek fordert, dass nun an jede Klinik eine sogenannte Portalpraxis angeschlossen wird.

Die Portalpraxis soll aus einer zentralen Anlaufstelle bestehen, in der eine ausgebildete Pflegekraft den Behandlungsbedarf einschätzt und den Patienten weiterleitet: entweder in die Notaufnahme, in eine ambulante Notdienstpraxis oder – sollten gerade Sprechstundenzeiten sein – in eine niedergelassene Arztpraxis außerhalb des Krankenhauses. Ausschlaggebend soll sein, ob es sich um eine leichte Verletzung oder eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt und wie schnell gehandelt werden muss.

Dafür sollen Ärzte und nichtärztliche Mitarbeiter Fortbildungen besuchen, die auf die Arbeit in den Portalpraxen vorbereiten. Mithilfe der Einwohnerzahl soll festgelegt werden, wie viel Personal in einer Klinik benötigt wird. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen die Praxen in Kooperation mit den Krankenhäusern betreiben und sich mit ihnen und den Krankenkassen über die Vergütung einigen. Noch kommen die Verhandlungen nicht voran.

Außerdem will der vdek die bekannte Notrufnummer 112 und die weniger bekannte Nummer 116 117 für ambulante Notfälle besser miteinander vernetzen. Bei einem Anruf soll jetzt schnell entschieden werden, ob tatsächlich der Rettungswagen notwendig ist oder ob der Patient selbst in die nächstgelegene Portalpraxis fahren kann. Laut dem Verband liegt die Umsetzung der Vorschläge bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Judith Freese