EU-Türkei Wütend über die Forderung des EU-Parlaments nach Einfrieren der Beitrittsgespräche, droht Präsident Erdoğan der EU mit Flüchtlingen
: „Lasst euch das gesagt sein!“

Erdoğan-Fans vor der EU-Kommission in Brüssel Foto: Stephanie Lecocq/dpa

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Mit der Drohung, eine große Zahl von Flüchtlingen in Richtung EU zu schicken, hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan auf die Forderung des Europäischen Parlaments reagiert, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei auszusetzen.

„Passt auf“, sagte er am Freitag in einer Rede vor einer islamischen Frauenkonferenz, „wenn ihr noch einen Schritt weitergeht, dann werden wir unsere Grenzen [für Flüchtlinge] öffnen. Lasst euch das gesagt sein.“ Schließlich so Erdoğan weiter, sei es die Türkei, die 3,5 Millionen Flüchtlinge beherberge und versorge. Dafür, so hatte schon am Donnerstag sein EU-Minister Ömer Çelik gesagt, könne die Türkei wohl etwas mehr Dankbarkeit erwarten.

Obwohl Erdoğan noch am Vortag der Abstimmung des Europarlaments am Mittwoch gesagt hatte, die Entscheidung sei „völlig unerheblich“ und habe „keinerlei Bedeutung“, zeigt sich die türkische Regierung über das Votum des EU-Parlaments nun doch sehr getroffen. Ministerpräsident Yildirim beklagte die „Doppelstandards“ der EU, die der Türkei bei ihrem „Kampf für die Demokratie“ in den Rücken falle.

Offenbar hatte man im Stillen gehofft, dass die Mehrheit der EU Parlamentarier sich letztlich doch nicht so weit vorwagen würden, zumal die Kommission und etliche EU-Regierungen, darunter die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, deutlich gemacht hatten, dass sie den Dialog mit der Türkei aufrechterhalten wollen.

Auch ein Großteil der Opposition in der Türkei kritisiert die Entscheidung des EP. Die so­zialdemokratisch-kemalistische CHP fürchtet den Anschluss an Europa völlig zu verlieren und dann mit der islamischen AKP alleingelassen zu sein. Dieselbe Sorge treibt liberale demokratische Kommentatoren wie den Chefredakteur von Hürriyet Daily News, Murat Yetkin, um. „Wenn die europäischen Abgeordneten glauben, dass Erdoğan und die AKP deshalb auf einen europäischen Kurs einschwenken würden, sind sie Tagträumer“, schrieb er am Freitag.

Lediglich die von den Repressionen der letzten Monate besonders hart getroffene kurdisch-linke HDP begrüßte den Schritt des Europäischen Parlaments. Es sei richtig, Erdoğan zu zeigen, dass die EU zu ihren Werten steht und seine „Diktatur“ nicht akzeptiert, sagte einer ihrer Sprecher.

Auf der anderen Seite fürchten viele demokratische Nichtregierungsorganisationen, die in den letzten Jahren Projekte auch mit Geldern der EU finanziert haben, diese Unterstützung jetzt zu verlieren. So hat die Hrant-Dink-Stiftung mitgeteilt, dass eines ihrer wichtigen Projekte, die Dokumentation von Hassartikeln gegen Minderheiten in den Medien, nicht mehr fortgeführt werden kann, weil Dänemark seine gesamte Unterstützung von Projekten in der Türkei gestrichen hat.

Trotz aller Kritik aus Brüssel setzt Erdoğan seine Repression gegen Opposition und Medien unverändert fort. Der populäre Bürgermeister der kurdischen Stadt Mardin, Ahmet Türk, ein landesweit bekannter kurdischer Politiker, wurde am Donnerstag verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, nachdem er bereits aus dem Amt gezwungen worden war.

Ebenfalls am Donnerstag begann der Prozess gegen prominente Journalisten und Schriftsteller, denen wegen ihrer Solidarität mit der kurdischen Tageszeitung Özgür Gündem nun Terrorunterstützung vorgeworfen wird. Darunter ist die Schriftstellerin Aslı Er­do­ğan und die 70-jährige Übersetzerin Necmiye Alpay, gegen die der Staatsanwalt jeweils lebenslange Haft fordert.