Haimoti, Hoamat, Haemat, Haemuti

Theater Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura arbeiten sich in „Heimat reloaded“ am HAU vielseitig an Nachkriegsdefinitionen dieses problematischen Begriffs ab. Warum das trotz Längen nicht langweilig wird

Kreisen um das H-Wort: die Schauspieler*innen Niels Heuser, Lajos Talamonti und Bettina Grahs in „Heimat reloaded“ Foto: David Baltzer

von Esther Slevogt

Der Begriff gehört zu den Reizwörtern, die aus dem Fundus deutschnationaler Rhetorik neuerdings wieder verstärkt auf die Gesellschaft niederregnen. Doch so, wie ihn der Schauspieler Lajos Talamonti jetzt ausspricht, klingt er eher japanisch: Haimoti. Die anderen Spieler, Bettina Grahs, Niels Heuser und Sven Walser kommen mit anderen mittel- und althochdeutschen, alemannischen oder bajuwarischen Variationen hinzu, die sie seltsam intonieren, dass sie sich manchmal sogar arabisch anhören: Hoamat, Haemat, Haemuti.

Normalerweise sagen wir „Heimat“, und diesem schwierigen Wort gilt der neue Theaterabend von Hans-Werner Kroesinger. Ein Wort, das diejenigen, die eine Heimat haben, zunehmend gegen diejenigen in Stellung bringen, die ihre Heimat verloren haben und auf der Flucht vor Krieg und wirtschaftlicher Not sind. Ein Wort, das aber auch tiefe existenzielle Hoffnung auf Zugehörigkeit ist und das für den marxistischen Philosophen Ernst Bloch zum Beispiel in der berühmten Schlusspassage seines Buchs „Das Prinzip Hoffnung“ Synonym für das Utopische schlechthin war: Heimat eben.

Vor einem grauen Gazevorhang stehen anfangs ein paar Tische auf Rädern, die sich hin- und herschieben lassen. So wie der Begriff, der hier in unterschiedlichen Anordnungen und Färbungen in den nächsten achtzig Minuten unter die Lupe genommen wird. Es beginnt mit einer Assoziationskette von H-Wörtern. Dabei wird ein rotes H hochgehalten. H wie Heimatschutz oder Heimaterde zum Beispiel, die auch einen der Tische anspielungsreich bedeckt.

Am Ende wird dieser Tisch immer und immer wieder im Kreis gedreht, sodass die sich entfaltende Zentrifugalkraft die Erde kreisförmig auf den hellgrauen Teppichboden verteilt, in dessen Mitte schließlich die vier Schauspieler stehen: ein Bild, das die ein- und ausschließende Kraft des Heimatbegriffs in ein simples wie griffiges Bild fasst.

Jede Sehnsucht nach Zugehörigkeit generiert bereits die Ausschlusskriterien

Der spiralförmige Assoziationsreigen zuvor war auch ein Ritt durch die deutsche Nachkriegsgeschichte des Begriffs, in dem eben die Nachgeborenen der Nazis, von denen er so missbraucht worden war, lange nicht mehr heimisch werden konnten. Angefangen mit dem Jahr 1951, wo im Westen der Heimatfilm „Grün ist die Heide“ entstand. Ein Film, in dem ein merkwürdiger Naturbegriff die zerbombten Städte ebenso ausblendete wie das KZ Bergen-Belsen, das bis 1945 in die gleiche Natur eingebettet war, wie nun die Liebesgeschichte zwischen einer jungen Heimatvertriebenen und einem Förster. Im Osten entstand im selben Jahr 1951 das viel gesungene Lied der Pionierorganisation Ernst Thälmann, „Meine Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“, das am Ende Heimat als etwas festschrieb, das nicht mehr den Mächtigen sondern nun dem Volk gehöre, und damit zum Standardrepertoire des DDR-Liedguts wurde.

Aus allem Richtigen, das Kroesinger am Heimatbegriff zutage befördert, wuchert sofort das Falsche. Hinter den romantischen Fahrtenliedern („Abends treten Elche aus den Dünen“) lauert völkisches Gedankengut. Jede Sehnsucht nach Zugehörigkeit generiert bereits die Ausschlusskriterien, definiert die, die nicht in den Kreis hineindürfen. Beispielsweise der Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur 2016, wie sie die bayerische CSU und die sächsische CDU formulierten. Doch aus den reaktionären Konzepten lassen Kroesinger und seine Dramaturgin Regina Duro sofort wieder existenzielle Gedanken zu Kindheit und Heimat sich winden, in denen Ernst Blochs Gedanken zur Heimat als Ort, wo noch niemand war (der nie leibhaftig zitiert wird) lebensweltlich heruntergebrochen werden.

Man hört politische Heimatdefinitionen, zwischen marxistischem Internationalismus (der den Begriff eng an den zu überwindenden Eigentumsbegriff geknüpft sieht) und westdeutschem Verfassungspatriotismus der Ära von Bundeskanzler Willy Brandt. Die DDR als verlorene Heimat ihrer einstigen Bürger wird ebenso thematisiert wie der rechtspopulistische Heimatbegriff der „Identitären“. Dazwischen wird getanzt, gesungen und Theater gespielt. Der Musiker Daniel Dorsch verpasst dem Abend immer wieder harsche elektronische Sound-Zäsuren, die einschlägiges Liedgut sampeln und zerhacken. Wenn der Abend allzu kroesingerhaft ins Pädagogische abklappt, hat er Längen. Langweilig wird er nie.

„Heimat reloaded“ von Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura. HAU 3, weitere Vorstellungen: 14.–17. Dezember, 19 Uhr