USA

Versteckt euch nicht hinter Schüchternheit, kandidiert selbst für politische Ämter, ruft der Filmemacher Michael Moore ihnen zu

Ein Tag des Aufbruchs

Marsch der Frauen Nach Wochen der Niedergeschlagenheit über Trumps Wahlsieg staunen die TeilnehmerInnen über sich selbst

„Nicht schweigend in die fünfziger Jahre zurück“: einige von Millionen Demonstrantinnen gegen Donald Trump am Tag nach dessen Amtsantritt Foto: John J. Kim/ap

Aus Washington Dorothea Hahn

Mit 200.000 TeilnehmerInnen haben die Veranstalterinnen des großen „Women’s March“ gerechnet. Aber dann füllen sich die breiten Prachtstraßen und die lange grüne Mall im Zentrum Washingtons immer mehr: Am Ende sind es wohl über eine halbe Million Frauen und Männer – manche sprechen von einer Million –, die am Samstagmorgen in der Hauptstadt gegen den neuen Präsidenten demonstrieren. Zusammen mit vielen anderen, die am Tag nach der Vereidigung von Donald Trump quer durch die USA und in anderen Ländern zum Protest auf die Straße gegangen sind, rufen sie ihm ein lautes „No“ entgegen.

Mit den rosafarbenen gestrickten „Pussy-Mützen“ geben sie der US-Hauptstadt eine neue Farbe. Es ist die größte De­mons­tration, an die sich die US-Hauptstadt erinnern kann. „Willkommen zu deinem ersten Tag im Amt“, skandieren die DemonstrantInnen. Und fügen diese Warnung hinzu: „Wir gehen nicht mehr weg.“ Eine junge Frau hält ein Schild mit der Aufschrift, die für viele zutrifft, hoch: „Glückwunsch! Jetzt bin ich eine Aktivistin.“

Es ist ein zutiefst berührender Moment: Die Trump-GegnerInnen sind – nach wochenlanger Niedergeschlagenheit – selbst überrascht, wie stark und wie zahlreich sie sind. „Ich sehe ein Meer von Menschen“, jubiliert die Feministin Gloria Steinem, als sie ihre kurze Rede beginnt. „Unglaublich“, beginnt der Filmemacher Michael Moore seinen Auftritt, „ich kann das Ende nicht sehen.“

Mehr als einen halben Kilometer von seiner Bühne entfernt, wo die Reden nur noch noch als ferne Geräuschkulisse wahrnehmbar sind, ruft eine junge Frau, die zur Demonstration aus dem Bundesstaat Oregon eingeflogen ist: „Wow! Dies ist das Amerika, das ich liebe.“

Dieser Tag, sagt ein Stück weiter eine aus New York angereiste Demonstrantin, werde jenen Landsleuten Mut machen, die in republikanischen Bundesstaaten wie Alabama und Kansas leben und sich bislang nicht getraut haben, ihre Opposition gegen Trump bekannt zu machen.

Immer neue Gruppen von Frauen – und einigen Männern – kommen dazu. Sie seien hier, sagen sie, um das zu verteidigen, wofür US-amerikanische Feministinnen und Linke in den letzten Jahrzehnten gekämpft haben. Dazu gehörten das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, volle Bürgerrechte für AfroamerikanerInnen, die Gleichstellung schwuler und lesbischer Beziehungen ebenso wie klimapolitische Gesetze und internationale Abkommen.

Andere machen sich – wenngleich weniger prominent – für eine Einwanderungsreform stark und für Forderungen aus der Arbeitswelt, darunter Mindestlöhne und gewerkschaftliche Rechte. „Wir kehren nicht schweigend in die 50er Jahre zurück“ ist auf mehreren Transparenten zu lesen. Die Stimmung ist freundlich, obwohl es mit der Organisation hapert und in diesem Moment so gut wie niemand weiß, in welche Richtung der Zug ziehen wird. Hier und da gehen TeilnehmerInnen auf Nationalgardisten zu, um ihnen für ihren „Dienst“ zu danken. Manche bekommen ein „Danke, dass ihr gekommen seid“ zurück. Andere Demons­trantInnen umarmen JournalistInnen, die sie interviewen, und danken ihnen für das Interesse.

Viele demonstrieren zum ersten Mal in ihrem Leben

„Wir brauchen jetzt jede Unterstützung“, sagt Niki Williams. Für die 37-jährige Afroamerikanerin ist der neue Präsident ein „Eiferer“ und „das Böse“, der „das Schlechteste von uns repräsentiert“. Auch wenn ihn nur 19 Prozent aller US-AmerikanerInnen gewählt haben, erwartet Niki Williams schwierige Auseinandersetzungen – weil das Land eine „doppelte Identität“ habe, wie sie sagt: Diese sei seiner Entstehungsgeschichte geschuldet, mit dem „Massenmord an einer Bevölkerungsgruppe und der Versklavung einer anderen“.

Viele haben noch nie zuvor demonstriert, andere sind erfahrene AktivistInnen. Die 75-jährige Bobbi Ansubel aus Kalifornien war schon in den 60er Jahren mit Martin Luther King und gegen den Vietnamkrieg auf der Straße. Aber noch nie habe sie eine so große und so kreative Demonstration erlebt: „Hier sind fast alle Schilder handgemalt“, sagt sie und sieht es als Zeichen dafür, wie tief das persönliche Engagement vieler TeilnehmerInnen gehe.

Die 35-jährige Tina und ihre 15-jährige Tochter Harmony aus Rochester in New York gehören zu jenen vielen, die zum ersten Mal demonstrieren. Die Mutter nennt Trump einen „Bully“ – einen Typen, der es liebt, andere einzuschüchtern. Sie wolle ihrer Tochter zeigen, dass man das nicht akzeptieren darf.

Doch als sie wenige Tage nach den Wahlen im November erstmals im Facebook von der geplanten Demonstration in Washington gelesen hatte, sei sie unsicher gewesen, ob es nicht zu gefährlich sei, daran teilzunehmen. Dann tat sie sich mit einer befreundeten Mutter und deren Tochter zusammen. Am Ende schwärmen alle vier Frauen von der neuen Erfahrung. Tina nennt sie „wunderbar und völlig friedlich“.

Wie viele? Insgesamt sind am 21. Januar weltweit Millionen Menschen gegen den neuen Präsidenten Trump auf die Straße gegangen.

Wo? Neben dem Women‘s March on Washington gab es laut der Nachrichtenagentur AFP mehr als 600 „Schwesternmärsche“ andernorts, sowohl in den USA als auch im Ausland. In New York und Los Angeles demons­trierten jeweils mehr als 500.000 Menschen. In London beteiligten sich über 100.000. In Berlin kamen einige Hundert DemonstrantInnen vor der US-Botschaft zusammen.

Die Empfehlungen von Michael Moore und anderen DemonstrantInnen nehmen die Frauen mit zurück nach Rochester: Ruft eure Kongressabgeordneten an, versteckt euch nicht hinter Schüchternheit, kandidiert selbst für politische Ämter, organisiert euch in Gruppen, die sich wehren können, lauten einige Vorschläge für die nächsten Monate.

„Vergesst nicht, wo ihr herkommt“ steht auf einem Schild mit aufgeklebter rosa Vulva aus Stoff. Eine junge Frau aus Pennsylvania trägt es lachend durch die Hauptstadt. Wie viele wehrt sie sich gegen die republikanischen Versuche, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu beschneiden. Andere DemonstrantInnen fassen dasselbe Anliegen in einen Slogan, der schon im Wahlkampf populär wurde: „Pussy grabs back“, was etwa so viel wie „Möse grabscht zurück“ heißt.

Hier und da sind nostalgische Slogans zu sehen, die an den bisherigen Präsidenten und seine Gattin erinnern: „Obama, wir vermissen dich, der neue Typ hat Probleme“ und „Danke, Michelle“.

Vor dem Trump Hotel in der alten Post, das der neue Präsident erst wenige Wochen vor seiner Wahl eröffnet hat, steht eine Blumenhändlerin aus Norfolk in Virginia. Auch sie demonstriert zum ersten Mal. Trump sei narzisstisch, sagt sie, und dass Massendemonstrationen ihn zutiefst verunsicherten. „Er hat sich zwar sein Leben lang nur für sein eigenes materielles Wohl und kein bisschen für das der anderen interessiert“, sagt sie, „aber er will gemocht werden.“ Auf ihr Transparent hat sie geschrieben: „Tief in eurem Innern wisst ihr, dass er verrückt ist.“

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