Oscar-Verleihung

Wenn Kino Gesellschaftskritik übt: Der beste Film, „Moonlight“, zeigt nicht die Glitzerwelt von Hollywood, sondern das Leben in Miami

Hollywood im falschen Film

Show Bei der Oscar-Gala ruft Warren Beatty den falschen Film zum Gewinner aus. Die Kritik an Trump bleibt gemäßigt, die Hautfarbe der Gewinner wird endlich dunkler

Doch noch die Richtigen auf der Bühne: Tarell Alvin McCraney und Barry Jenkins bei der Oscar-Verleihung für „Moonlight“ Foto: Matt Sayles/Invision/ap

von Jenny Zylka

BERLIN taz | „Shit“ beziehungsweise „Fuck“ sagte niemand bei der Oscar-Preisverleihung. Sogar die in Filmausschnitten vorkommenden Kraftausdrücke wurden nach alter US-amerikanischer Zensurtradition herausgebeept. Dass allerdings der Schauspieler und Regisseur Warren Beatty den größten Patzer in der 89-jährigen Oscars-Geschichte verlas – anscheinend ausgestattet mit dem falschen Umschlag (!) rief er am Ende fälschlicherweise „Lala Land“ zum besten Film aus –, klärte sich erst, nachdem Cast und Crew bereits auf der Bühne jubelten.

Schnell mussten sie Platz machen für die MacherInnen des wahren „Bester Film“-Gewinners „Moonlight“. Die konnten ihr Glück kaum fassen: Eine berührende Geschichte über einen homosexuellen Schwarzen im Drogenmilieu (siehe Text unten) – mal sehen, was Donald Trump dazu twittert. Wahrscheinlich gar nichts – wieso auch. Denn obwohl es verdammt viele Gründe gibt, die Awards zu verwünschen, oder besser die Umstände, unter denen die Vereinigten Staaten durch eine fatale politische Entscheidung ächzen, war die 89. Oscar-Verleihung viel weniger politisch als erhofft.

Dabei wurden sie mit Jimmy Kimmel von einem der losesten Mundwerke der TV-Unterhaltung moderiert und kamen mit Veränderungen im Vorfeld, die doch hoffnungsfroh stimmten: Die Präsidentin der American Academy, Cheryl Boone Isaac, hatte kurzfristig 680 neue ­Mitglieder berufen, die für mehr Diversität in den Reihen der Akademie sorgen und den alten weißen Heteromännern ein für alle Mal den Garaus machen sollten.

Die vermeintlichen Sieger mussten auf der Bühne ganz schnell Platz machen

Was die Nominierungen betrifft, gab es denn auch nicht viel zu meckern: Bedacht wurden viele „people of colour“ in den Reihen der FilmemacherInnen und SchauspielerInnen, die den Rassismus in ihren Werken thematisch abhandelten (Fences, Hidden Figures, Moonlight) – aber eben auch ein Musical, das gekonnt das „klassische Hollywood“ und damit den traditionellen Unterhaltungs-Eskapismus inklusive Love Story feierte: „Lala Land“ von Damien Chazelle.

Die Show in Los Angeles feuerte zwar einige gemäßigte Verbalspitzen in Richtung Donald Trump – vor allem durch ihren Moderator, der in seinem zweiten Satz schon die internationalen ZuschauerInnen erwähnte, „die uns jetzt alle hassen“. Doch deutlich ätzen oberhalb des Büttenredenniveaus wollten nur wenige – dar­unter Laudator Gael Garcia Bernal, der sich als Mexikaner klar gegen die Mauerpläne der US-Regierung aussprach. Die PreisträgerInnen waren da schon etwas eindeutiger.

Asghar Farhadis Film „The Salesman“, gegen den der deutsche Beitrag „Toni Erdmann“ den Kürzeren zog, wurde von der iranischstämmigen Unternehmerin Anousheh Ansari entgegengenommen – sie las ein Statement Farhadis vor, in dem er sein Nichterscheinen mit der „Achtung für mein Volk und die Einwohner der anderen sechs Länder, die vom unmenschlichen, respektlosen US-Gesetz gegen die Einwanderung von Immigranten betroffen sind“, erklärte.

Der Film: Asghar Farhadi gewann mit „The Salesman“ den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Der Film handelt von einem Ehepaar, das einen Überfall nicht anzeigt, sondern Selbstjustiz übt.

Freude beim Volk: Der zweite Oscar für den iranischen Regisseur hat im Iran eine Begeisterungswelle ausgelöst. In den sozialen Netzwerken wurde Farhadi wie ein Nationalheld gefeiert.

Stolz der Regierung: Auf Twitter gratulierten der Außen- und der Jugendminister. Das Land sei nicht nur stolz wegen des Oscars, sondern auch wegen der Reaktion des Ensembles auf das Einreiseverbot der US-Regierung, schrieb Außenminister Mohammed Dschawad Sarif. (dpa)

Und auch wenn die Kurz­dokumentation des Grimme­preis­trägers Marcel Mettel­siefen über eine Familie aus Aleppo nicht gewann – es war der Regisseur des ebenfalls den Syrienkrieg thematisierenden Sieger-Kurzfilms „The White Helmets“, der seine Dankesrede für einen Aufruf gegen den Krieg nutzte.

Wenn das widerspiegelt, wie stark das US-Kulturetablissement in die Opposition gehen würde, ergibt es ein mageres Bild.