Ich tue, was ich sage

Konzeptkunst Adrian Piper verlangt von den Besuchern ihrer Arbeit im Hamburger Bahnhof in Berlin eine Selbstverpflichtung

Von Lorina Speder

Groß und mächtig erscheinen die grauen, deckenhohen Wände, die versetzt jeweils eine Hälfte der historischen Halle des Hamburger Bahnhofs einnehmen. Auf ihnen steht in goldenen Reliefbuchstaben ein Satz: „Ich werde immer zu teuer sein, um gekauft zu werden.“ – „Ich werde immer meinen, was ich sage.“ – „Ich werde immer das tun, was ich sage.“

Vor den Wänden ist in minimalistischer Einfachheit ein goldener Tresen platziert, hinter dem ein Rezeptionist auf die Besucher wartet. Bei den Mitarbeitern kann ein Vertrag abgeschlossen werden, der besiegelt, dass man die „Spielregel“, also einen der Sätze, immer befolgt. Die eigene Integrität ist gefragt – niemand außer wir selbst wissen, ob wir uns an den Pakt halten werden. Selten ist ein Kunstwerk so deutlich und direkt. Der innere Konflikt beginnt schon vor Vertragsschluss, nämlich beim Lesen und Reflektieren der Sätze. Können wir diese wirklich befolgen? Kann man tatsächlich immer das meinen, was man sagt?

Adrian Piper möchte mit „The Probable Trust Registry“ ein Register erschaffen, in dem sich Menschen zusammentun, denen man wahrscheinlich, hoffentlich vertrauen kann. Schließt man einen Vertrag mit sich selbst ab, erhält man diesen frisch ausgedruckt mit dem Hinweis, dass man die Namen der anderen Partizipierenden per E-Mail überliefert bekomme. So entsteht eine Gruppe von Menschen, die dem „Problable Trust Registry“ angehören.

Piper fordert das Ehrenwort zurück und verlangt gesellschaftliches Handeln: Das Misstrauen in uns sei zu groß, Menschen würden sich nicht mehr vertrauen. Für Piper ist dies das Gift in unserer Gesellschaft. Betrügerei, Heuchelei und Selbsttäuschung führten zum Scheitern einer Gemeinschaft durch Ungewissheit, Misstrauen, Angst und Unordnung. Die Künstlerin tritt mit ihrem Werk demokratisch an jeden Einzelnen heran, um diese Vergiftung zu stoppen. Denn das menschliche Fundament des Vertrauens ist besonders in diesen turbulenten Zeiten wichtiger denn je.

Metaphysik der Sitten

Die Künstlerin und Philosophin wurde 1948 in New York geboren, seit mehr als zehn Jahren lebt sie in Berlin. Als Gelehrte und Professorin unter anderem an den Universitäten von Harvard und Stanford beschäftigte sie sich mit dem Selbst. Viele ihrer früheren Werke befassen sich mit Rassismus. Als erste Afroamerikanerin, die eine feste Professur für Philosophie in den Vereinigten Staaten erhielt, kreisen ihre künstlerischen Themengebiete auch um Fragen der Wahrnehmung. Als „The Probable Trust Registry“ entstand, beschäftigte sie sich insbesondere mit den philosophischen Texten der „Kritik der reinen Vernunft und der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ von Kant.

Piper beschreibt ihre Arbeitsweise aber als intuitiv. Sobald sie ein Thema in ihren Gedanken findet, wird es bearbeitet. Momentan sei es für sie schwierig, sich nicht damit zu beschäftigen, wie gesellschaftliches Vertrauen unter Menschen geschaffen werden könne. Deshalb war es Piper nach der Biennale ein Anliegen, ihr Werk „The Probable Trust Registry“ in einem deutschen Museum zu zeigen.

Der Kunstbetrieb fühlt sich von Pipers Arbeit angesprochen und kritisiert. Denn ja, es geht um die Integrität der Besucher, aber natürlich auch um die Integrität des Ortes, an dem das Werk ausgestellt wird. So sieht sich Udo Kittelmann, Direktor der Berliner Nationalgalerie, in der Pressekonferenz zur Eröffnung der Schau dazu aufgefordert zu betonen, dass der Lohn der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinter den Countern den Mindestlohn übersteige. Gab es doch in Venedig 2015, in dem Jahr, in dem Piper für „The Probable Trust Registry“ den Goldenen Löwen bekam, einen Lohndumping-Skandal. Junge Ticketkontrolleure auf dem Biennale-Gelände verdienten zwischen null und vier Euro die Stunde.

Selbst wenn wir uns von ihrem Werk nicht angesprochen fühlen oder aus anderen Gründen dazu entschließen, keinen Vertrag abzuschließen, hat die Künstlerin eines erreicht: Einer Auseinandersetzung mit sich selbst ist allein schon wegen der direkten und simplen Aufmachung der Ausstellung kaum auszuweichen.

Bis 3. September, Hamburger Bahnhof, Berlin