Wahlkampf mit Doppelpass

Integration Weil viele Deutschtürken für Erdoğans Verfassungsänderung stimmten, nehmen Politiker von CDU und CSU nun die doppelte Staatsbürgerschaft ins Visier

Türkische Wählerin vor dem Wahllokal in Frankfurt am Main Foto: Andreas Arnold/dpa

Aus Berlin Tobias Schulze

Das Ergebnis des türkischen Verfassungsreferendums hat in der deutschen Politik eine Diskussion über die Integration der Deutschtürken ausgelöst. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen wies am Dienstag Forderungen zurück, den Erwerb der doppelten Staatsbürgerschaft wieder zu erschweren. „Die aktuell entflammte Debatte um die Integration oder den Doppelpass von türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist ein Ablenkungsmanöver von den eigenen Fehlern der Regierungsparteien und ihrer jahrelangen Unterstützung für Erdoğan und sein Netzwerk in Deutschland“, sagte die Politikerin.

Die türkische Regierungspartei AKP nehme über „Lobbyorganisationen und den Moscheeverband Ditib“ in Deutschland Einfluss und werde in der Integrationspolitik von Kanzleramt und Innenministerium hofiert. Das Wahlverhalten der Türken in Deutschland sei Folge dieser Politik und habe mit dem Doppelpass nichts zu tun, so Dağdelen.

Unter den türkischen Wählern in Deutschland war die Zustimmung zur Verfassungsreform außergewöhnlich hoch. 63,1 Prozent von ihnen stimmten für die umstrittenen Änderungen. Politiker der Unionsparteien werteten die Zahl als Beleg für die schlechte Integration türkischstämmiger Menschen in Deutschland und forderten deshalb, die Regelungen zur doppelten Staatsbürgerschaft zu verschärfen. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte, die dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft sei kein Beitrag zur Integration. Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer forderte in der Welt, als Reaktion auf das Abstimmungsergebnis „Erleichterungen bei der doppelten Staatsbürgerschaft wieder rückgängig“ zu machen.

Die Große Koalition hatte die Bedingungen für den Erwerb des Doppelpasses erst in dieser Legislaturperiode herabgesetzt. Bei der Reform ging es um in Deutschland aufgewachsene Kinder von Eltern aus Nicht-EU-Staaten wie eben der Türkei. Früher mussten sie sich spätestens im 23. Lebensjahr für einen Pass entscheiden. Seit 2014 dürfen sie dauerhaft zwei Staatsbürgerschaften behalten.

Die Kontroverse um den Doppelpass könnte zum Wahlkampfthema werden

In der Union war dieser Schritt allerdings von Anfang an umstritten. Das häufigste Gegenargument: Ein Staatsbürger müsse seinem Land gegenüber loyal sein – bei zwei Staatsbürgerschaften in fundamental verschiedenen Ländern sei das aber nicht möglich. Schon auf dem CDU-Parteitag im Dezember stimmten die Delegierten mehrheitlich dafür, die Wahlpflicht wiedereinzuführen. Nach dem Referendum in der Türkei könnte die Forderung nun zum Wahlkampfthema werden.

Derweil könnten die Deutschtürken bald wieder zu einer Volksabstimmung aufgerufen werden: Staatspräsident Erdoğan kündigte bereits an, möglicherweise auch über die Einführung der Todesstrafe abzustimmen. Der Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu forderte die Bundesregierung am Dienstag auf, eine solche Abstimmung in Deutschland zu verhindern. „Ein Referendum zur Einführung der Todesstrafe widerspricht unseren Werten diametral.“ Eine Briefwahl für Auslandstürken ist im türkischen Wahlgesetz nicht vorgesehen; für Wahllokale in Deutschland braucht die Türkei eine Genehmigung der Bundesregierung.

Schwerpunkt