Trinken in Rom, saufen in Dublin

ALKOHOL Muss die EU Jugendliche vor Wein, Bier und Schnaps retten? Die Ideologieschlacht tobt. Forscher verlangen: Bitte genauer hinschauen!

VON DANIELA WEINGÄRTNER

Wenn in Brüssel besonders viel übers Rauchen und Saufen geredet wird, kann man sicher sein, dass gerade ein nordisches Land Regie führt. Die protestantisch geprägten Länder sind fasziniert von allem, das bei ihnen verboten oder nur unwillig geduldet ist. Die Schweden, die bis Ende Dezember im Chefsessel der EU sitzen, begannen ihr Halbjahr mit einer großen Gesundheitskonferenz. Zum Stichwort „alcohol“ wirft die Suchmaschine der schwedischen Präsidentschaftswebseite 176 Treffer aus. Die Tschechen, die vorher dran waren, kümmerte der Suff so wenig, dass sich auf ihrer Webseite nur vier Einträge zum Thema finden.

Die Alkoholindustrie fürchtet die Forderung nach strengeren Jugendschutzgesetzen und Werbeverboten natürlich. Mit Kampagnen, die für verantwortungsvollen Umgang mit der Droge Alkohol werben, versuchen sie solchen Plänen zu begegnen. In Europa tobt eine Ideologieschlacht, Fakten kommen oft zu kurz, und Vorfälle wie die Alkoholvergiftung eines sieben Jahre alten Jungen aus Berlin werden schnell instrumentalisiert. Die Frage, mit welchen Rezepten Alkoholmissbrauch am besten verhindert werden kann, sollte aber offen diskutiert werden dürfen.

Bechernde Römer

Die EU-Kommission hatte 1997 den Bremer Soziologen und Drogenforscher Stephan Quensel gebeten, den Umgang junger Europäer mit Alkohol zu untersuchen. Er befragte 4.000 Fünfzehnjährige aus Dublin, Newcastle, Groningen, Rom und Bremen. Das Ergebnis: Am meisten becherten die jungen Römer, doch sie waren deutlich seltener betrunken als Altersgenossen in Dublin oder Groningen. Dieses Paradox wird auch durch die Gesundheitsstatistik gestützt: Trotz hohen Weinkonsums bleiben Italiener deutlich länger gesund als Briten oder Ungarn.

Quensel kritisiert, dass Alkoholkonsum von der Wissenschaft meist nur als medizinisch-pharmakologische oder psychologisch-psychiatrische Abweichung von der Norm untersucht wird. Viel zu selten werde nach der sozialen Funktion des Trinkens gefragt. „Beim Alkoholgenuss geht es Jugendlichen nicht darum, sich Ethanol zuzuführen sondern um den sozialen Akt. Das gilt auch für exzessives Trinken.“ Die rein quantitative Auswertung seiner Zahlen ergaben einen Zusammenhang von Abstinenz und sozialer Isolation, die, sagt Quensel, mittelfristig der Gesundheit viel mehr schaden kann als Alkoholmissbrauch im Jugendalter.

Quensel stellt die Rezepte grundsätzlich infrage, die von erwachsenen Politikern erdacht werden und der Jugendkultur nicht angemessen sind. „Sie wollen Techno und House, und wir geben ihnen Bartók und Bach“, sagt der Soziologe. Seine Auftraggeber aus der Gesundheitsabteilung der EU-Kommission wollten das allerdings nicht hören und ließen die Studie in der Schublade verschwinden. Die Weinlobby gab Quensel in Brüssel gern die Gelegenheit, seine Thesen vorzutragen.

Akt der Auflehnung

Soziologen aus anderen Ländern kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie er. In Dänemark sehen es Jugendliche als Akt der Auflehnung gegen die Erwachsenen an, sich in der Öffentlichkeit zu betrinken. Viele Jugendliche krakeelen viel lauter, als es ihrem Alkoholpegel entspricht, um soziale Punkte zu sammeln. Der dänische Anthropologe Torsten Kolind glaubt, dass das gute Beispiel Gleichaltriger und das Ausprobieren verschiedener Rollen ihr Konsumverhalten am nachhaltigsten beeinflussen. Besorgte dänische Eltern organisieren reihum Partys für Vierzehn- bis Achtzehnjährige, wo sie in einem geschützten Umfeld ausprobieren können, wie Alkohol wirkt. Das hält Kolind für wirksamer als Verbote und gesetzlich vorgeschriebene Preiserhöhungen.

Die italienische Soziologin Franca Beccaria weist darauf hin, dass sich umgerechnet auf reinen Alkohol der Konsum in den letzten vierzig Jahren in ihrem Land fast halbiert hat. In anderen EU-Ländern hingegen sei der Verbrauch unverändert oder ansteigend. Verbote seien für die Entwicklung weniger maßgeblich als Faktoren wie Stress oder Essgewohnheiten.

Der britische Ökonom Adrian Furnham ist überzeugt, dass auch ein geänderter Lebensstil aus Iren keine Italiener macht. Deshalb sei es wirkungslos, die Schankzeiten zu liberalisieren oder randalierende Jugendliche von den Straßen zu vertreiben. „Mit sechzehn kannst du Sex haben, für dein Vaterland sterben, aber keinen Drink bestellen“, kritisiert Furnham. Die Politik müsse kulturelle Unterschiede in Europa respektieren und Definitionen hinterfragen. „Mehr als vier Drinks bei einem Treffen gelten in den meisten Studien als Missbrauch. Danach wären wir alle hier schon Alkoholiker.“

Die britische Soziologin Rachel Herring sagt: „Die Politik sucht immer die schnelle, möglichst billige Lösung für ein Problem. Doch Verbote machen nichts besser, im Gegenteil.“ Stephan Quensel will, dass stattdessen mehr in Aufklärung investiert wird. Der spanischen Ratspräsidentschaft, die zum 1. Januar die Geschäfte aufnimmt, wird er das nicht extra sagen müssen. Prohibition und Abstinenz gehören dort nicht zur Landeskultur.