Türkei

Die Gegner einer Präsidialdiktatur protestieren weiter gegen das Ergebnis des Referendums, Europa bleibt bei vorsichtiger Kritik

Mit Töpfen und Pfannen gegen Erdoğans Allmacht

Proteste Demos gegen gegen „Stimmenklau“ beim Referendum, Opposition beantragt Annullierung der Abstimmung

Die demokratischsten Wahlen, die die Welt je gesehen hat“

Erdoğan über das Referendum

ISTANBUL taz | Es war zunächst nur ein kleines Häufchen, das sich am frühen Abend im Zentrum des Istanbuler Stadtteils Beşiktaş zusammenfand. Aufgerufen zur Demonstration hatte das lokale Nein-Bündnis – mit kleinen Handzetteln und Aufrufen in den sozialen Medien unter der Parole: „Gegen den Stimmenklau beim Referendum. Wir haben gesiegt!“

Trotz anhaltenden Regens wurden es dann aber immer mehr. Erste Sprechchöre, in denen Präsident Recep Tayyip Erdoğan des Stimmenklaus bezichtigt wurde, ertönten in den engen Gassen der Altstadt von Beşiktaş. Und als der Zug sich dann in Bewegung setzte, strömten auf einmal aus allen Ecken Menschen dazu. Aus wenigen Hundert Demonstranten wurden binnen Minuten mehrere Tausend. Da sich keine Polizei sehen ließ, verloren immer mehr Leute ihre Angst und schlossen sich dem Zug an. Plötzlich strömte ein ganzer Stadtteil durch die Gassen. Diejenigen, die zu Hause geblieben waren, öffneten ihre Fenster, erschienen auf den Balkonen und trommelten zur Unterstützung der auf Töpfen und Pfannen.

Ein Hauch von Gezi-Aufstand lag in der Luft. „Endlich“, rief eine lachende Frau, „passiert auch mal wieder etwas Positives.“ Die Wut über den vermuteten Betrug bei der Volksabstimmung am Sonntag mischte sich mit der Hoffnung, mit größerem Widerstand auf der Straße vielleicht doch noch etwas zu retten vor Erdoğans gierigem Griff auf das ganze Land. „Wir geben nicht auf“, tönte es aus vereinzelten Megafonen, „der Kampf gegen den Faschismus fängt gerade erst an.“

Zur selben Zeit wie in Beşiktaş protestierten am Montagabend auch in Kadıköy, der Nein-Hochburg auf der asiatischen Seite Istanbuls, tausende Menschen gegen das ihrer Ansicht nach gefälschte Wahlergebnis vom Sonntagabend. Kleinere Demonstrationen gab es auch in Ankara und Antalya. Nach Meldungen auf Twitter schritt die Polizei dort ein und nahm einige Demonstranten fest.

In Istanbul dagegen blieben Zusammenstöße bislang aus. Die Regierung lässt die Leute noch unbehelligt laufen, wohl weil Erdoğan die Demonstrationen bislang nicht als Gefahr sieht. „Da sind wieder diese Leute mit ihren Kochtöpfen, die kennen wir doch schon“, soll er bei seiner Siegesfeier am Montagabend in der Hauptstadt Ankara gesagt haben.

Die beiden Oppositionsparteien, die sozialdemokratisch-kemalistische Republikanische Volkspartei CHP und die kurdisch-linke Demokratische Partei der Völker HDP haben am Dienstagnachmittag ihre Ankündigung wahrgemacht, juristisch gegen den von ihnen vermuteten Wahlbetrug vorzugehen: Sie beantragten die Annullierung des Referendums bei der Hohen Wahlkommission. Deren Zusammensetzung bestimmt allerdings Erdoğan. Die Opposition hat bereits angekündigt, bis vor den europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu gehen, wenn sie in Ankara scheitert.

Bislang scheint sich Erdoğan davon nicht beeindrucken zulassen. Scharfe Kritik der OSZE-Wahlbeobachter hatte er mit dem Satz zurückgewiesen, die sollen sich um ihren eigenen Kram kümmern und die Türkei in Ruhe lassen. „Wir haben hier am Sonntag die demokratischsten Wahlen abgehalten, die die Welt je gesehen hat“, so der Präsident. Jürgen Gottschlich