„Israel täte gut daran, die Hamas in den Prozess einzubeziehen“

Gazastreifen Die Wahl von Ismael Hanijeh zum neuen Chef des Politbüros der Hamas signalisiert eine Wende, sagt die israelische Politologin Ronit Marzan

Ismael Hanijeh Foto: reuters

INTERVIEW Susanne Kanul

taz: Frau Marzan, die Hamas hat Ismael Hanijeh zum Chef des Politbüros gewählt. Jetzt muss er mit Jahja al-Sinwar, Hamas-Chef im Gazastreifen, auskommen.

Ronit Marzan: Hanijeh ist als Chef des Politbüros theoretisch derjenige, der die Politik der Hamas insgesamt bestimmt. Doch die lokale Hamas-Führung unter al-Sinwar gibt de facto den Ton an. Al-Sinwar gelingt es, der politischen Führung die Grundsätze der Kassambrigaden, dem militärischen Flügel der Hamas, aus dem er selbst kommt, aufzuzwingen. Al-Sinwar wird sich dafür stark gemacht haben, dass Hanijeh auf den Posten gewählt wird, eben weil er so schwach ist.

Wie erklären Sie dann die neue Hamas-Charta, die von der Gründung des Staates in den Grenzen von 1967 spricht?

Die Änderungen gehen auf den scheidenden Politbürochef Khaled Maschaal zurück, der, wie ich vermute, eng mit Asmi Bischara zusammenarbeitet. Bischara ist palästinensischer Philosoph und israelischer Abgeordneter, der unter dem Verdacht der Spionage floh und in Katar im Exil lebt. Maschaal lernt von Bischara. Er spricht von „Falsafa“, von einer „Philosophie“ des Kampfes, wenn er die neue Charta präsentiert. So ein Begriff passt nicht zu einem Mann, der von Beruf Ingenieur ist, es sei denn, er lässt sich von einem Philosophen beraten. Maschaal spricht von einem neuen, moderateren Weg. Die Hamas will etwas Neues bringen. Sie sagt Ja zu einem Staat in den Grenzen von 1967, gleichzeitig will sie nicht auf den bewaffneten Kampf verzichten, Maschaal argumentiert, dass Israel nur durch den bewaffneten Kampf zu Kompromissen gezwungen werden kann. Damit hat er recht, wie ich denke. Die Gewalt hat Israel aus dem Gazastreifen gezwungen.

Wie sollte Israel reagieren?

Ronit Marzan

Foto: Archiv

58, ist Dozentin für Nahost-Geschichte an der Schule für Politische Bildung der Universität Haifa. Sie ist Expertin für die Hamas.

Israel täte gut daran, die Hamas in den politischen Prozess einzubeziehen, anstatt sich ausschließlich auf die PLO und die Führung im Westjordanland zu beschränken. Maschaal hat den Posten des Politbürochefs aufgegeben, um sich auf sein nächstes Ziel zu konzentrieren: Regierungschef in den Palästinensergebieten, Seite an Seite mit einem Präsidenten, der von der Fatah gestellt wird. Aus israelischer Sicht wäre es sinnvoll, wenn Maschaal aus dem Exil zurück nach Gaza zieht, um dort gemeinsam mit Hanijeh einen Gegenpol zu dem radikaleren al-Sinwar zu bilden.

Wird mit Hanijeh eine Beilegung des Konflikts zwischen Fatah und Hamas möglich sein?

Fatah und Hamas werden ohne Zutun aus dem Ausland zu keiner Einigung gelangen. Hier fällt US-Präsident Donald Trump eine wichtige Rolle zu. Er sollte zunächst zwischen Katar und Ägypten vermitteln, denn die Regierung in Doha ist Schirmherr der Hamas und die Regierung in Kairo steht auf der Seite der Fatah. Eine Versöhnung zwischen Katar und Ägypten ist Voraussetzung für ein Zusammengehen der beiden großen palästinensischen Fraktionen und eine Einheitsregierung von Fatah und Hamas.