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: Eine seltsame Saison für Hertha

Zwar ist der sechste Platz auf der Bundesligatabelle für Hertha die beste Platzierung seit 2009. Doch irgendwie hätte alles auch noch schöner werden können

„Ich würde gerne tauschen mit Hertha“, sagte Gästetrainer Tayfun Korkut am Samstag nach dem fulminanten 6:2-Auswärtssieg seines Teams bei Hertha BSC im Olympiastadion. Der Coach von Bayer 04 Leverkusen hätte tatsächlich lieber die krachende Niederlage genommen und dafür die Saison mitsamt Endplatzierung auf Rang 6 bekommen. Aus Sicht eines Teams, das mit Champions-League-Ambitionen gestartet war und dann bis kurz vor Saisonende um den Klassenerhalt zittern musste, nachvollziehbar.

Aus Sicht der Hertha war es dagegen ein komisches Ende einer seltsamen Saison. Sicher, Rang 6 ist die beste Platzierung seit 2009. Doch belegte der Verein in der Hinrunde lange Platz 3, der die direkte Qualifikation für die Champions League bedeutet hätte. Auch während der Rückrunde stand man meist auf Platz 5. Durch das 2:6 am letzten Spieltag wurde aus dem fünften noch der sechste Rang. Und das kann Konsequenzen haben: Gewinnt Eintracht Frankfurt kommenden Samstag im Olympiastadion gegen Borussia Dortmund den DFB-Pokal, qualifizieren sich statt Hertha die Hessen für die Europa-League-Gruppenphase. Die Berliner dagegen müssten mitten in der Saisonvorbereitung in die Qualifikation. Dass das schiefgehen kann, mussten sie vor Jahresfrist erfahren, als sie nach einem 1:0-Sieg im Hinspiel gegen Bröndby Kopenhagen auswärts 1:3 und damit die Hoffnungen aufs internationale Geschäft verloren. Auch in der Vorsaison hatte es lange nach einem Champions-League-Platz für die Blau-Weißen ausgesehen, ehe sie an den letzten fünf Spieltagen von Platz 3 auf 7 abstürzten.

2016/17 ging Hertha erneut die Puste aus – sieben der letzten zehn Partien verlor das Team, mit dem 2:6 als Tiefpunkt. „Als Sportler bin ich etwas traurig über das Ergebnis“, sagte Hertha-Trainer Pal Dardai, stellte aber das Gesamtergebnis heraus: „Wir sind Sechster geworden, das ist in Deutschland ein tolles Ergebnis. Letztes Jahr Siebter, dieses Mal Sechster – das spricht für den systematischen Aufbau unserer Mannschaft.“ Das kann man so sehen. Man kann aber auch sehen, dass Hertha Ende der vergangenen Spielzeit einen Punkt mehr auf dem Konto und eine bessere Tordifferenz hatte. Wo Dardai sicher recht hat, ist die Entwicklung der jungen Spieler. Marvin Plattenhardt reifte zu einem etablierten Bundesligaspieler heran und wurde von Bundestrainer Jogi Löw mit der Nominierung zum Confed Cup belohnt. Mitchell Weiser und Niklas Stark werden im Sommer an der U21-Europameisterschaft teilnehmen.

Auch was die Akzeptanz der Hertha beim Publikum angeht, war die Saison widersprüchlich. Erstmals seit der Abstiegssaison 2011/12 konnte im Olympiastadion wieder die Marke von im Schnitt 50.000 ZuschauerInnen geknackt werden. Dennoch wird viel über die Stimmung diskutiert. Hertha wünscht sich ein reines Fußballstadion, ohne Laufbahn und mit steileren Tribünen. Als Ende März der Öffentlichkeit die Optionen Neubau neben dem Olympiastadion oder auf der grünen Wiese im Brandenburgischen präsentiert wurden, stritten sich viele Fans über die Frage, ob ein Umzug ihrer Hertha nach Brandenburg überhaupt hinnehmbar wäre. Vergangene Woche, kurz vor dem Saisonfinale, hieß es dann plötzlich: Möglicherweise könne Hertha im Olympiastadion bleiben, wenn dieses entsprechend umgebaut werde. Doch auch dafür sind viele Fragen noch ungeklärt. So steht Hertha BSC sowohl sportlich als auch in Sachen Image, Finanzen und Zukunft des Stadions mehr denn je am Scheideweg. Aufstieg in die Spitzengruppe der Bundesliga oder Rückfall ins Mittelmaß – nach dieser Saison ist alles möglich. André Anchuelo