Dürfen die das?

Ausnahmezustand Am 7. und 8. Juli treffen sich die Staats-und Regierungschefs der 20 mächtigsten Staaten der Welt mitten in Hamburg – und stellen wegen der dadurch nötigen Sicherheitsmaßnahmen die Stadt auf den Kopf. Niemand hat die Einwohner gefragt, ob sie das wollen. Zwei Meinungen

JA

Die GegnerInnen des G20-Gipfels sollten froh sein, dass sich die 20 Präsidenten und Regierungschefs treffen und dass sie sich in Hamburg treffen. Denn tatsächlich sind viele der Themen, die sie verhandeln, Themen, die auch die Zivilgesellschaft interessieren. Der Gipfel, gerade wenn er in einem liberalen Staat wie Deutschland stattfindet, bietet die Gelegenheit sich lautstark zu artikulieren und von der verfassten Politik wahrgenommen zu werden.

In einer Welt, die derart eng vernetzt und klein geworden ist wie die heutige, ist es absurd, ein Treffen grundsätzlich in Frage zu stellen, bei dem es um die Lösung allgemein anerkannter gemeinsamer Probleme geht: von einer stabilen Wirtschaft über die Finanzmarktregulierung und das Austrocknen von Steueroasen bis zum Klimawandel und zur Entwicklungspolitik.

Dass dabei aus linker Perspektive oft nicht genug und nicht das Richtige herausgekommen ist, kann nicht als Argument dagegen gelten, dass man international über die Probleme spricht. Das gilt insbesondere, weil bei dem Gipfel nicht nur die westlichen Industrienationen sondern auch Schwellenländer wie Brasilien, Indonesien und Südafrika vertreten sind. An dieser Stelle gleich eine UN-Vollversammlung zu fordern, ist Unsinn. Das würde den mit 20 Mitgliedern plus Gästen ohnehin schon weit gesteckten Rahmen sprengen.

Auch beim jetzigen Format muss man aushalten, dass Staats- und Regierungschefs dabei sind, deren Politik man unmöglich findet. Trump, Putin und Erdoğan sind – mehr oder weniger seriös gewählt – in der Welt. Sie sich weg zu wünschen, hilft nicht weiter.

Wer in Firmen mit mehreren Standorten arbeitet, hat ein Gefühl dafür, dass ein Telefonat ein Treffen Auge in Auge nicht ersetzen kann. Gerade bei den unberechenbaren und skrupellosen Zeitgenossen unter den Staatslenkern ist ein persönlicher Kontakt – und manchmal auch Gruppendruck – wichtig. Wer weiß: Vielleicht gelingt es den versammelten Chefs ja, Donald Trump davon zu überzeugen, dass der Klimawandel doch ein vom Menschen verursachtes Problem ist?

In Hamburg sind auch die Nichtregierungsorganisationen – von Attac bis zur Nordkirche – frei, sich zu äußern und an die Verhandlungen anzudocken. In autoritären Staaten ist das weitaus schwieriger – warum sollte also ausgerechnet Deutschland darauf verzichten oder den Gipfel aufs Land verbannen?

Dabei wirkt manche Kritik der AnwohnerInnen kleinlich. Hamburg erduldet Großereignisse wie den Schlagermove und die Harley Days. Da sollte es auch eine ernsthafte Veranstaltung wie den G20-Gipfel aushalten.

Letztlich geht es beim Umgang mit dem G20 auch um den Respekt vor der Politik, deren Ruf schlechter ist, als sie verdient. Es ist schwere Arbeit, schon aus den unterschiedlichen Interessen der 20 Teilnehmer einen Konsens zu erzielen, der dann die viel größere Weltgemeinschaft voranbringen kann. Das gilt auch für die Nichtregierungsorganisationen, die das zu beeinflussen versuchen.

Ein bisschen Finanzmarktregulierung ist besser als gar keine und überhaupt ein Ziel für den Klimaschutz zu formulieren, ein Fortschritt, der sich nicht von selbst versteht.

GERNOT KNÖDLER ist Redakteur der taz.nord in Hamburg

NEIN

Ob die das dürfen? Der Witz ist ja gerade, dass die Vertreter der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer niemanden gefragt haben und nicht fragen müssen, ob sie zum Gipfeltreffen kommen dürfen oder nicht. Die Herrschaften entscheiden das selbst.

Im konkreten Fall war es Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der Angela Merkel für die Idee gewann, das Stelldichein selbsterklärter Bestimmer des Weltgeschehens nach Hamburg zu holen. Als dickes Trostpflaster für die am Willen des Volkes gescheiterte Olympiabewerbung der Stadt, aber auch als Zugeständnis, dass Hamburg auch mal ein bisschen Weltstadt spielen darf. Schon die Wahl des Schauplatzes in den Messehallen im traditionell linken Karolinenviertel ist vor diesem Hintergrund ein Affront gegen das Votum der Hamburger Bevölkerung.

Auf eins können sich wohl die meisten Kritiker des Gipfeltreffens einigen: dass die Mandatsträger, die hier vorstellig werden, mitnichten Vertreter der Welt im Ganzen sind. Sie sind schlicht die mächtigsten Repräsentanten der Hegemonie, Oberbefehlshaber von Staaten in einer kapitalistischen Herrschaftsstruktur. Wie der italienische Marxist Antonio Gramsci gesagt hätte: Vertreter jener Herrschaft, die es schafft, ihre eigenen Interessen zu gesellschaftlichen Interessen umzudefinieren, sie also zu verallgemeinern. Genau das ist für Viele der Anlass, gegen sie zu protestieren.

Es geht also um Politik. Fragt sich nur, für wen. Und geht es nicht in erster Linie um die Inszenierung – um einen Werbefeldzug marodierender politischer Eliten? Wobei bei der gegenwärtigen Besetzung des Spitzenpersonals – mit Trump, Ergoğan und Putin – schon politisch eher unbeleckte Menschen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Das Neue beim Hamburger G20-Gipfel im Juli ist, dass alte neoliberale Kräfte auf die Vertreter einer auf Abschottung bedachten neuen Rechten treffen.

Und machen wir uns nichts vor: Es sind letztere, die das Establishment in den letzten Monaten vor sich hertreiben. Es glaubt ja wohl niemand ernsthaft, dass sich xenophobe Autokraten durch einen Besuch in Hamburg politisch umorientieren, ja zur Räson gebracht werden. Selbst Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) hat eingeräumt, dass er vollstes Verständnis für den Protest gegen Trump hat. Inzwischen hat er diese Äußerung durch eine Warnung ad absurdum geführt: Wer beim Gipfel die Protokollstrecken blockiert, bringe sich in Lebensgefahr. Die Botschaft: Es werden keine Gefangenen gemacht.

Weil ihm die Aktionsformen der Gipfelgegner missfallen, hat der Hamburger Senat inzwischen sogar seine eigene Demonstration angemeldet: „Hamburg zeigt Haltung“. Die wird dann ungestört durch eine mit martialischen Mitteln freigeräumte Hamburger Innenstadt ziehen können. Wer auf eine selbst gewählte Art gegen G20 protestieren will, wird auf einen entfernten Platz verwiesen. All das, was eine Demokratie im Unterschied zu einer Türkei unter Erdoğan ausmachen könnte, wird hier bis zur Unkenntlichkeit zurechtgestutzt.

Das Signal, das von einem solchen Szenario ausgeht, ist: Wir können auch Polizeistaat: Wir können auch scheiße sein. Wen wundert es da, wenn es vielen Leuten stinkt?

Lena Kaiser ist Chefin vom Dienst der taz.nord in Hamburg