Johanna Roth über SPD-Empörung auf Twitter
: Nervöse Abstiegsangst

Man muss wahrhaftig kein Fan von Julia Klöckner sein. Aber dass die CDU-Frau gerade als „schamlos“ und „abgrundtief böse“ geschmäht wird, ist ungerechtfertigt.

Was war passiert? Nachdem die SPD am Dienstag ihre Personalwechsel bekannt gegeben hatte, twitterte Klöckner: „Rechnet sich Herr Schulz mit neuem Generalsekretär mehr Chancen aus? Wer lässt vier Monate vor der Wahl schon seine Generalsekretärin gehen“. Und die SPD? Regt sich auf. „Völlig pietätlos“, twitterten SPD-Spitzenpolitiker, Klöckner sei der Anstand „abhandengekommen“. Man hätte sich gewünscht, schreibt ein SPD-Bundestagsabgeordneter, dass Erwin Sellering nicht an Krebs erkrankt sei.

Natürlich – aber das hat ja auch niemand gesagt. Umgekehrt ist es kein Naturgesetz, dass auch die Generalsekretärin ausgetauscht werden muss, wenn die Familienministerin einen anderen Posten übernimmt. Anstatt Barley mitten im Wahlkampf ins Familienministerium abzukommandieren – wo sie freilich gute Arbeit leisten wird –, hätte man Alternativen suchen können. Die bisherige NRW-Familienministerin Christina Kampmann zum Beispiel könnte eine neue Aufgabe vielleicht bald gebrauchen.

Stattdessen wird Barley als Wahlkampfchefin aufgegeben. Wie in der Bundesliga, wo selbst ein kompetenter Trainer abgesägt wird, sobald seine Mannschaft eine gewisse Anzahl von Spielen verliert. Ähnlich von Abstiegs­ängsten getrieben agiert gerade die SPD.

Klar ist es nicht nett, dass Klöckner keine Genesungswünsche für Sellering twitterte, sondern nur die machtpolitischen Verschiebungen kommentierte, die auf dessen Rücktritt folgten. Dass ihre Formulierung spitz war – geschenkt, es ist nun mal Wahlkampf. Die Empörungslawine SPD-naher Accounts gehört genauso dazu. Ärgerlich, dass viele Medien diese Dynamik in mechanischen „Shitstorm gegen Klöckner“-Berichten nicht als Wahlkampftheater einordneten – und teils das SPD-Urteil über die „taktlose“ Konkurrentin einfach übernahmen.