Wieder Zoff in der Doppelspitze

Afghanistan Nicht nur der fast alltägliche Bombenterror, sondern auch die Dauerkrise unter den Regierungspartnern untergräbt einen neuen Anlauf zum Frieden

Chaos in Kabul: Am 2. Juli gerieten Proteste gegen die Regierung außer Kontrolle Foto: Mohammad Ismail/reuters

Von Thomas Ruttig

BERLIN taz | Sechs Tage nach der verheerenden Lkw-Bombe in Kabul ist am Dienstag in der afghanischen Hauptstadt ein neuer Versuch zur Beendigung des seit fast vier Jahrzehnten wütenden Krieges im Land gestartet worden. Präsident Aschraf Ghani will unter dem Titel „Kabuler Prozess“ die Länder der Region dazu bewegen, eine Erklärung gegen grenzüberschreitenden Terrorismus zu unterschreiben. Das richtet sich vor allem an Pakistan. Dort erhalten Afghanistans Taliban nach wie vor verdeckte Unterstützung durch Teile des Militärs.

Für die Konferenz mit Beteiligten aus 23 Ländern sowie von UNO, Nato und EU hatte Ghani auf hochrangige Beteiligung gehofft. Nach den Anschlägen und Unruhen der letzten Tage schickten die meisten Staaten aber nur ihre Botschafter. So dürfte Ghani kaum Druck auf Pakistan entfalten.

Er versuchte, die Konferenz noch dadurch aufzuwerten, dass er einen neuen Chef seines Nationalen Friedensrates ernannte. Muhammad Karim Chalili ist wie sein 2011 von den Taliban ermordeter Vorgänger Borhanuddin Rabbani ein früherer Warlord. Bisher hatte Rabbanis Sohn Salahuddin, der auch Außenminister ist, den Rat interimistisch geleitet.

Zur Konferenzeröffnung teilte Ghani mit, die Zahl der Toten des Anschlags vom 31. Mai sei inzwischen auf 150 gestiegen. Die Konferenz wurde aber nicht nur von diesem, sondern von weiteren Anschlägen und Protesten sowie einer neuerlichen Eskalation der Dauerkrise der Nationalen Einheitsregierung überschattet. Bei Protesten am Freitag hatte die Polizei die Kontrolle verloren, in die Menge geschossen und mindestens sieben Menschen getötet, darunter den Sohn eines Politikers. Den Protest hatten zivilgesellschaftliche Gruppen organisiert, er war ihnen aber von der früheren Mudschahedin-Partei Dschamiat-e Islami aus den Händen genommen worden. Aus deren Reihen mischten sich Bewaffnete unter die 1.200 Demonstranten, die mit einem Marsch auf den Präsidentenpalast drohten.

Präsident Ghanis Friedenskonferenz dürfte kaum Druck auf Pakistan machen

Bei der Beerdigung des Politikersohnes am Folgetag gab es neue Anschläge. Drei Terroristen, die sich unter die Trauernden – darunter fast die gesamte Dschamiat-Führung – gemischt hatten, lösten versteckte Sprengsätze aus. 20 Menschen wurden getötet, 119 verletzt. Salahuddin Rabbani, in seiner dritten Funktion als Chef der Dschamiat-Partei, verlangte von Ghani, die für die Sicherheit zuständigen Minister und den Chef des Nationalen Sicherheitsrates zu entlassen. Er sprach von „Terroristen innerhalb des Systems“ und beschuldigte damit Ghanis Vertraute indirekt, in die Anschläge verwickelt zu sein.

Dahinter verbirgt sich ein Machtkampf. Die früheren Dschamiat-Mudschahedin fühlen sich nach ihrer Beteiligung am Kampf gegen die sowjetische Besatzung (1979–89) sowie gegen die Taliban um die Früchte ihrer Siege gebracht. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 übernahmen sie fast alle Schlüsselpositionen in den afghanischen Sicherheitskräften, die heute aber ethnisch ausgewogener besetzt sind. Ghani schuf zudem nur ihm unterstehende, parallele Entscheidungsstrukturen und entmachtete so den Dschamiat-Vertreter Abdullah Abdullah. Der leitet als Geschäftsführer das Kabinett und bildet mit ihm eine Regierungsdoppelspitze.

Abdullah hatte die Mitglieder seiner Partei gebeten, ihre Proteste bis nach der Kabuler-Konferenz auszusetzen. So blieb es am Montag und Dienstag in Kabul ruhig. Nur eine Rakete traf den Tennisplatz des indischen Botschafters. Opfer gab es nicht.