Ausgang ungewiss

Fehmarnbelt-Querung 15 Fragen und Antworten zum größten und teuersten Verkehrsprojekt der EU

Zu optimistisch? Die Planungen aus Dänemark Grafik: Femern A/S

Von Sven-Michael Veit

Hinter dem Begriff „Feste Fehmarnbelt-Querung“ verbergen sich drei Teilprojekte: Ein Straßen- und Schienentunnel in der Ostsee zwischen der dänischen Insel Lolland und der deutschen Insel Fehmarn sowie der Ausbau der Anschlüsse in Dänemark und desgleichen in Schleswig-Holstein zwischen Fehmarn und Bad Schwartau. Alles zusammen wird derzeit auf Kosten von 11,5 Milliarden Euro geschätzt – das wäre das bei Weitem teuerste Verkehrsprojekt in der Europäischen Union. Am kommenden Dienstag startet in Lübeck die Erörterung der Planunterlagen.

Die Grundlage:der Staatsvertrag

In einem deutsch-dänischen Staatsvertrag von 2008, der am 10. Juli 2009 nach Zustimmung von Bundestag und Bundesrat in Kraft trat, sagt Dänemark zu, eine feste Fehmarnbelt-Querung zu bauen und zu betreiben. Sie soll aus einer vierspurigen Autobahn und einer zweigleisigen, elektrifizierten Bahnstrecke bestehen. Deutschland muss nur die Hinterlandanbindung in Schleswig-Holstein finanzieren und bauen, den großen Rest bezahlt Dänemark.

Das Kernstück: der Tunnel

Im Februar 2011 beschloss Dänemark, statt der ursprünglich diskutierten Brücke den längsten Absenktunnel der Welt zu bauen. Hauptargumente sind geringere Umweltauswirkungen und geringere Kosten. Der Tunnel besteht aus 89 an Land vorgefertigten Elementen. Diese sollen in einen zuvor ausgehobenen Graben im Meeresboden abgesenkt werden. Er wird knapp 18 Kilometer lang, 60 Meter breit und 16 Meter tief, der Bodenaushub beträgt 19 Millionen Kubikmeter. Die Tunnelelemente werden anschließend mit einem Teil des Aushubs bedeckt, mit dem Rest werden auf beiden Seiten des Fehmarnbelts etwa drei Quadratkilometer neues Land aufgeschüttet.

Kosten I: Dänemark

Die Kostenschätzung allein für den Tunnel ist von 5,5 Milliarden Euro vor einigen Jahren auf aktuell 7,4 Milliarden Euro gestiegen. Bauherr ist die Femern A/S, ein 100-prozentiges dänisches Staatsunternehmen. Ein EU-Zuschuss von bis zu 1,3 Milliarden Euro und Mauteinnahmen in Höhe heute üblicher Fährgebühren sollen das Projekt in etwa 36 Jahren refinanzieren, das Risiko trägt der dänische Staat durch Bürgschaften und Garantien.

Die Umwelt:ökologische Risiken

Der Fehmarnbelt ist geschützt nach der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat und als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen. Etliche bedrohte Tiere und Pflanzen leben dort, auch Schweinswale. Größere Probleme durch Bau und Betrieb sieht Femern A/S laut Planungsunterlagen nicht. Es handele sich nur um „akzeptable und vorübergehende Umweltauswirkungen“. So werde es während der Bauarbeiten „rechnerisch zu einer zeitlich und räumlich begrenzten Beeinträchtigung von weniger als zehn Schweinswalen kommen“. Umweltgruppen sehen das kritischer.

Der Bedarf:die Verkehrsprognose

Durch die Fehmarnbelt-Querung verkürzt sich die Reisezeit mit Bahn und Auto von Hamburg nach Kopenhagen von gut vier auf etwa zweieinhalb Stunden. Die Fahrt durch den Tunnel selbst wird mit zehn Minuten mit dem Auto (Höchstgeschwindigkeit 110 km/h) und sieben Minuten mit der Bahn (200 km/h) angegeben.

Die Verkehrsprognose sieht eine Zunahme der täglichen PKW-Fahrten von jetzt 5.400 auf der Fährlinie auf 9.400 vier Jahre später vor. Nach 25 Jahren sollen es 12.775 Pkws, 107 Busse und 2.104 Lkws täglich sein. Das entspricht in Deutschland der Mindestzahl für eine Ortsumgehung. Hinzu kommen 40 Personen- und 74 Güterzüge.

Die Konkurrenz:die Reederei Scandlines

Auf der Vogelfluglinie zwischen Rødby und Puttgarden verkehren die Fährschiffe der Reederei Scandlines im 30-Minuten-Takt. Die Verkehrsprognose für den Tunnel geht davon aus, dass der Fährbetrieb eingestellt wird, rund 800 Arbeitsplätze würden bei der Reederei entfallen.

Scandlines will aber den Betrieb mit vier neuen und hochmodernen Null-Emissions-Fähren weiterführen, die Verkehrs- und Mautprognose für den Tunnel müsste darum gesenkt werden. Vor dem Europäischen Gericht in Luxemburg klagt Scandlines wegen Wettbewerbsverzerrung gegen die beantragten EU-Zuschüsse für den Tunnel: Diese würden die staatliche Gesellschaft Femern A/S mit Steuergeldern subventionieren in einem ruinösen Preiskampf gegen ein etabliertes und gesundes Fährunternehmen. Das sei ein Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht.

Der Ausbau:die Hinterlandanbindungen

118 Kilometer Straßen und Schienenwege auf dänischer Seite zwischen Rødby und Kopenhagen baut der dänische Staat für etwa 1,3 Milliarden Euro aus. Auf deutscher Seite wird die Autobahn A1 bis kurz vor der Fehmarnsund-Brücke verlängert und geht dann in eine vierspurige Bundesstraße bis Puttgarden über. Die 88 Kilometer lange eingleisige Schienenstrecke von Bad Schwartau bis Puttgarden muss zweigleisig ausgebaut, elektrifiziert und teilweise auf neuer Trasse errichtet werden.

Kosten II: Deutschland

Nach gegenwärtigen Schätzungen werden dafür mindestens 2,2 Milliarden Euro notwendig sein. Die Kosten tragen Bund und Deutsche Bahn.

Das Nadelöhr:die Fehmarnsund-Brücke

Erst nach und nach räumten politische Stellen im Bund und in Schleswig-Holstein sowie die Deutsche Bahn ein, dass die Nutzungsdauer der 1963 fertiggestellten Fehmarnsund-Brücke zwischen Fehmarn und dem deutschen Festland wegen „Materialermüdung“ begrenzt sei. Die 963 Meter lange Brücke kann das Gewicht der täglich 74 superschweren und 860 Meter langen Güterzüge, die nach Fertigstellung des Vorhabens zwischen Hamburg und Skandinavien rollen sollen, nicht tragen.

Die Lösung: Neubauten

Deshalb werden seit vorigem Jahr vier Varianten auf ihre Machbarkeit hin untersucht: zwei Brücken- und zwei Tunnelbauten jeweils für eine vierspurige Straße und zwei Bahngleise. Die alte denkmalgeschützte Brücke soll darüber hinaus erhalten bleiben für Fußgänger, Radfahrer und Trecker – die alle dürften den Neubau nicht nutzen.

Kosten III: Deutschland

Die Kosten für den Neubau sind noch offen, mindestens eine halbe Milliarde Euro indes ist realistisch. Die Gesamtkosten auf deutscher Seite nähern sich somit den drei Milliarden Euro.

Die Folgen: der Tourismus

Die Studie „Fehmarnbelt und Tourismus“ des Kieler Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa im Auftrag des Ostsee-Holstein-Tourismus e. V. prognostizierte im Januar 2017, dass nach Fertigstellung des Tunnels jährlich etwa 25.000 zusätzliche Touristen aus Schweden und Dänemark in der Region zwischen Fehmarn und Lübeck übernachten würden. Das wäre bei aktuell 7,8 Millionen Übernachtungen ein Anstieg um 0,3 Prozent.

Kritiker hingegen befürchten vor allem wegen der zusätzlichen Güterzüge schwere Lärmemissionen vor allem für die Ostseebäder an der Lübecker Bucht. Das bleibe nicht ohne negative Auswirkungen auf die Urlaubsorte.

Das Ende: der Zeitplan

Ursprünglich sollte der Tunnel in drei Jahren eröffnet werden. Aktuell beginnt am Dienstag nächster Woche in Lübeck die öffentliche Erörterung von 12.600 Einwendungen gegen die Pläne. Mit einem Planfeststellungsbeschluss ist im Sommer 2018 zu rechnen, danach beginnen mehrjährige Verfahren vor deutschen Gerichten, die von Umweltverbänden bereits angekündigt wurden.

Ein Baubeginn vor 2021 ist somit unrealistisch, die Fertigstellung des Tunnels könnte demnach frühestens 2028 erfolgen, wahrscheinlicher ist 2030. Dann kann auch der Ausbau der deutschen Hinterlandanbindung erfolgt sein, der Bau von Brücke oder Tunnel am Fehmarnsund indes dauert wohl bis 2035.

Kosten IV: die Risiken

Eine gerichtliche Bestätigung des Planfeststellungsbeschlusses wahrscheinlich erst 2021 sorgt für Finanzprobleme. Der erhoffte Zuschuss der EU für das grenzüberschreitende Verkehrsprojekt in Höhe von bis zu 1,3 Milliarden Euro müsste nach der Neuwahl des Europa-Parlaments 2020 neu beantragt werden – mit ungewissem Ausgang. Zudem laufen 2019 die Kostenbindungen der Baukonsortien aus, mit denen Femern A/S bereits Vorverträge geschlossen hat. Auch sie müssten danach neu verhandelt werden – und billiger würde es gewiss nicht werden.

Der Ausstieg:die Vertragsklausel

Der deutsch-dänische Staatsvertrag enthält in Artikel 22 eine Ausstiegsklausel:

„Sollten die Voraussetzungen für das Projekt oder Teile des Projekts sich deutlich anders entwickeln als angenommen und anders, als es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags bekannt ist, werden die Vertragsstaaten die Lage aufs Neue erörtern. Dies gilt unter anderem für wesentliche Kostensteigerungen im Zusammenhang mit dem Projekt.“

Die jetzige Bundesregierung sieht bislang keinen Anlass, davon Gebrauch zu machen.