Hat die Polizei noch alle Latten im Zaun?

NEIN

Was sich in Hamburg abspielt, ist eine Eskalation mit Ansage. Und zwar eine, die in erster Linie von der Polizei ausgeht. Bereits am Vortag der Vorabenddemonstration zum G20-Gipfel „Welcome to Hell“ betonte Innensenator Andy Grote (SPD), gegenüber Autonomen auf Härte setzen zu wollen. Der Mann hat Wort gehalten. Doch ging es ganz offenkundig nicht darum, Ausschreitungen zu verhindern, sondern im Gegenteil darum, einen Gewaltexzess vom Zaun zu brechen.

Wer gesehen hat, wie die Einsatzkräfte ­völlig maßlos in die Menge preschen, auf am Boden liegende Demonstranten eintreten oder mit Highspeed in eine friedliche Menge rasen oder Wasserwerfer gegen sie einzusetzen, muss sich wirklich fragen: Sind Polizei und die verantwortlichen Behörden noch ganz bei Trost?

Was ist geschehen? Mit beachtlicher Disziplin stand der Demonstrationszug über eine Stunde lang auf einem Fleck, ohne dass irgendetwas passierte. Tatsächlich aus dem Ruder lief die Situation erst in dem Moment, als sich die Polizei entschied, in die Menschenmenge zu stürmen und den schwarzen Block von Autonomen von den friedlichen Demonstranten zu separieren. Es flogen Flaschen. Was die Polizei in Kauf nahm, war eine sehr gefährliche Situation der Massenpanik, denn zwischen den Häusern und Mauern gab es fast kein Entkommen. Man kann froh sein, dass es in dieser Situation für die meisten Beteiligten noch vergleichsweise glimpflich ausgegangen ist.

Auch wenn man Vermummte in einer Demo nicht akzeptiert, rechtfertigt das noch lange nicht, 11.000 andere Menschen in Haftung zu nehmen und sie einer solchen Gefahr auszusetzen. Dieses Vorgehen war schlicht völlig ­unverhältnismäßig. Selbst in Hamburg, wo es zumindest auf der revolutionären 1.-Mai-Demo zwischen ­Polizei und Antikapitalisten regelmäßig robust zugeht, wird ­normalerweise nicht auf eine unauf­gelöste Demonstration eingeknüppelt.

Während der abgetrennte schwarze Block dann durch die Viertel zog, um Autos anzuzünden, versuchten Unbeirrbare weiter, eine Demo auf die Beine zu stellen. Am Freitag hat Hamburg mehr Polizisten angefordert. Die Bilder, mit denen sie die Verstärkung begründen, haben sie selbst erzeugt. Das ist eine besorgniserregende Gewaltspirale.

Am Ende bleibt der Eindruck, das Demonstrationsrecht gilt in Deutschland, aber nicht für Autonome. Und die Polizei versucht sich an ihrer eigenen Geschichtsschreibung, ohne Rücksicht auf die Realität. Lena Kaiser

JA

Offenbar ist der schwarze Block ein wildes Tier ohne Verstand und eigenes Urteilsvermögen. Reizt man es, dann zündet es Autos an, wirft Flaschen. Wer es reizt, der ist selbst schuld .

Nein, der schwarze Block ist kein wildes Tier, aber folgt man der Argumentation vieler Linker, auch in der taz, ist das so. Die Polizei ist schuld, wenn Autonome Autos anzünden, weil ihre Demo aufgelöst wird?

Nein, die Menschen, die da demonstrierten, trafen eine Entscheidung: Wir sind der schwarze Block. Ihre Rhetorik und Bildsprache ist auf Eskalation aus. In Hamburg standen über 1.000 Vermummte am Hafen zusammen, um loszumarschieren.

Die übliche Provokation eben, genauso, wie die Polizei bewusst provoziert hat. Beide Seiten standen sich wie pubertierende Halbstarke gegenüber, die sich gegenseitig auf die Fresse hauen wollen. Und dann gab es eine Eskalation. Welch Wunder. Die spannende Frage ist, ob Menschen, die sich vermummen, noch ein Grundrecht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit haben. Die Antwort darauf ist ein klares Ja. Das Vermummungsverbot ist kein Grundrecht, Demonstrationsfreiheit schon.

Trotzdem ist es albern, aus den Krawallen in Hamburg gleich das temporäre Ende der Grundrechte abzuleiten oder gar Vergleiche mit autoritären Staaten zu ziehen.

Wer bei uns keinen Bock auf schwarzen Block hat, der nimmt eben seinen Schal ab und geht heim. Und wer von der Polizei unrechtmäßig festgehalten wird, hat ordentliche Gerichte, um zu klagen.

Das ganze Gequatsche vom ach so repressiven System in Deutschland ist eine Beleidigung für die, die wirklich unterdrückt werden und im Knast sitzen, weil sie ihre Regierung kritisieren.

Um die Frage auf dieser Seite zu beantworten: Die Polizei in Hamburg hatte am Donnerstagabend kurzzeitig nicht mehr alle Latten im Zaun, weil sie viel zu schnell zuschlug.

Nur ist es eben ziemlich billig, so zu tun, als hätte sich am Hafen in Hamburg ein Haufen netter Menschen mit besten Absichten versammelt.

Übrigens gab es am Donnerstag und Freitag in der Stadt weitere Demonstrationen, auf denen Menschen ihre Meinung und Kritik kundtun durften. Sogar in diesen angeblich nur auf Krawall gebürsteten Medien haben sie ihre Argumente ausgebreitet.

G20 ist scheiße. Fuck Trump. Erdoğan ist ein Verbrecher. Angela Merkel ist doof. Wandere ich dafür jetzt in den Knast? Schrecklich repressiv, dieses Deutschland. Ingo Arzt