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Fröhliche Auferstehung

Reformator Martin Luther nahm den Menschen die Angst vor Hölle und Fegefeuer, setzte Hoffnung dagegen und sorgte dafür, dass der Verstorbene in der Predigt persönlich gewürdigt wurde. Auch plädierte er früh für die Verlegung der unhygienischen Friedhöfe weg von den Kirchen in die Peripherie der Städte

Luthers Grab in der Schloss-kirche zu Wittenberg ist vermutlich echt – anders als die „Thesentür“, ein Geschenk des preußischen Königs Wilhelm IV. aus dem Jahr 1858 Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Von Joachim Göres

Andreas Ströbl steht in der Gruft der Familie von Saldern im brandenburgischen Bad Wilsnack und blickt auf die Inschriften des reich verzierten Sargdeckels aus dem 17. Jahrhundert. „Die fröhliche Auferstehung“, liest der Archäologe aus Lübeck vor, der zusammen mit seiner Frau Regina Ströbl bundesweit Grüfte dokumentiert und sichert.

„Solche Inschriften sind eine direkte Folge der Reformation. Martin Luther lehnt den in der katholischen Kirche verbreiteten Gedanken des Fegefeuers ab“, sagt Ströbl. „Luther widmet fast alle Aspekte von Tod und Sterben vom Düsteren und Angstbestimmten ins Freudig-Hoffnungsvolle um, gegen die Traurigkeit setzt er den Trost. Im Zentrum steht nach seiner Enthüllung des Fegefeuers als ,Lügenfeuer' nun die fröhliche Auferstehung, und die ist nach wie vor leiblich gemeint.“

Diese Haltung zeigt sich auch in anderen Inschriften, die Ströbl auf protestantischen Särgen ab dem 17. Jahrhundert oft findet. „Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn“ steht da. Oder „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ Diese Zitate stammen aus Luthers „Begräbnisgesängen“ von 1542, die Bibelstellen und Kirchenlieder zum Thema Sterben und Tod enthalten und vom Reformator für die Ausgestaltung von Gräbern empfohlen wurden. Laut Ströbl waren diese Botschaften nicht an die Hinterbliebenen gerichtet, wurden während der Trauerzeremonie sogar unter Tüchern verborgen. Der Adressat war allein Gott.

Auf Särgen von Katholiken dagegen herrschten bildliche Darstellungen wie das Kruzifix vor. Luthers Vorstellungen vom Tod blieben ihnen fremd. Bis zur Reformation wurden die Eliten auch im Kirchenraum bestattet, möglichst nah am Altar, der wegen der dort eingebrachten Reliquien als heilig galt – was auch auf die in der Nähe liegenden Toten ausstrahlen sollte.

Für Luther dagegen war die Begräbnisstätte kein heiliger Ort, und die Nähe zum Altar spielte keine Rolle. Er kritisierte vielmehr das Treiben auf dem rund um die Kirche gelegenen Friedhof, wo die meisten beerdigt wurden. Da liefen Menschen und Vieh herum und machten, fand Luther, „Andacht und Ehrfurcht, die den Begräbnissen gebührt, ganz und gar zunichte“.

Hinzu kam: Die Toten wurden meist nicht tief vergraben, der Modergeruch war vor allem in heißen Monaten stark. „Luther forderte 1527, aus hygienischen Gründen die Friedhöfe außerhalb der Städte und Dörfer anzulegen“, sagt Kathrin Panne, Volkskundlerin und stellvertretende Leiterin des Bomann-Museums Celle. Sie sieht Luther auch als Befürworter der Leichenverbrennung und zitiert ihn mit den Worten „Denn sie trugen sie nicht alleine hinaus, sondern verbrannten die leychen alle zu pulver, auff das die lufft ja auffs reinste bliebe“.

Die Forschungsstelle Gruft, von Regina Ströbl gegründete hat in vielen norddeutschen Orten Grüfte unter die Lupe genommen: in Bordesholm (Familie von Saldern), Celle (Neuenhäuser Friedhof), Dänischenhagen (Familie Buchwaldt), Dornum (Häuptlingsgruft unter der St. Bartholomäus-Kirche), Göttingen (Einzel­gruft unter der Paulinerkirche), Hamburg (St. Michaelis-Kirche, St. Joseph), Hannover (Kirche Johannes der Täufer), Klein Ilsede (Familie von Schwicheldt), Leer (Familien von Wedel/von Ehrentreuter), Lüneburg (Äbtissinnengruft im Kloster Lüne und Einzelgruft auf dem Michaelisfriedhof), Schleswig (Obere und Untere Fürstengruft) und Wolfenbüttel (Welfengruft).

Tatsächlich wurde in Deutschland das erste Krematorium erst 1876 in Gotha eröffnet, und in der protestantischen Kirche war die Feuerbestattung lange Zeit umstritten. Bei den Katholiken ist sogar sie erst seit 1963 erlaubt.

Der evangelische Theologe Reiner Sörries, langjähriger Leiter des Museums für Sepulkralkultur in Kassel und heute im Ruhestand, weist auf Luthers Bedeutung für die Trauerfeier hin: Durch dessen Einfluss sei die Leichenpredigt zu einem zentralen Teil der Trauerfeier geworden, in der der Verstorbene persönlich gewürdigt werde. Zugleich wurde aber auch die Selbstdarstellung in Form eines großen Grabes für Wohlhabende auf dem Friedhof gefördert – was auch Widerspruch erregte und den Vorwurf der Protzsucht laut werden ließ. Der Reformator Zwingli forderte 1525 in Zürich das Verbot von Grabsteinen, um jeden Prunk zu vermeiden.

Auch die katholische Seelenmesse mit Fürbitten und Almosen für das Seelenheil des Toten lehnte Luther ab. Der verstorbene Mensch sei in der Hand Gottes und der menschlichen Verfügbarkeit entzogen, fand er. Stattdessen propagierte Luther einen öffentlichen Wortgottesdienst, in der die Auferstehungshoffnung im Mittelpunkt stand.

Gleichzeitig betont Sepulkralkultur-Kenner Sörries, dass die ersten Friedhöfe schon vor der Reformation aus Platzgründen vor die Tore der Städte verlagert worden seien. „Auf den heutigen Friedhöfen gibt es keine Bezüge mehr zur Reformation. Im Unterschied zu einem katholischen Friedhof muss ein evangelischer Friedhof allerdings nicht geweiht sein. Kirchliche und kommunale Friedhöfe kann man heutzutage kaum noch voneinander unterscheiden“, sagt Sörries.

Von den heute bundesweit 32.000 Friedhöfen sind etwa ein Drittel kirchlich: 7.900 sind in evangelischer und 3.600 in katholischer Trägerschaft. Während vor und auch noch lange nach der Reformation die meisten Menschen ohne Namensnennung beerdigt wurden, sind die christlichen Kirchen heute bestrebt, auf ihren Friedhöfen anonyme Bestattungen zu verhindern.

Besucher der Hamburger St. Michaelis-Kirche können auch die dortige Gruft besichtigen.

Über Veränderungen in der Bestattungskultur kann man sich im Museum des Friedhofs Hamburg-Ohlsdorf, Fuhlsbütteler Straße 756 informieren (geöffnet So, Mo + Do, 10–14 Uhr), ebenso im Friedhofsmuseum Hannover, Stadtfriedhof Seelhorst, Garkenburgstraße 43 (während öffentlicher Friedhofsführungen, am 19. und 26. November, 10–16 Uhr, sowie am 6. Dezember, 13–16 Uhr).

Für die meisten evangelischen Christen hat sich vermutlich in den ersten Jahren nach der Reformation wenig bei den Begräbnissen verändert. „Man kann vermuten, dass sie durch die protestantische Ablehnung des Fegefeuers weniger Angst vor dem Tod hatten, sagt Sörries. „Aber auch bei Luther gab es die Vorstellung vom Jüngsten Gericht, bei dem sich entscheiden werde, ob man in den Himmel oder in die Hölle komme.“

Auch Archäologe Andreas Ströbl bestreitet die Verdienste Luthers nicht, ist aber trotzdem nicht gut auf ihn zu sprechen. Grund ist Luthers Übersetzung des Buchs Hiob des Alten Testaments der Bibel. In den Versen 25-27 des 19. Kapitels heißt es dort laut Luther: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt und er wird mich hernach aus der Erde aufwecken und werde danach mit dieser meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch Gott sehen.“

Dies ist Ströbl zufolge eine falsche Übersetzung. „Eigentlich müsste die Stelle übersetzt werden mit ‚und nachdem diese meine Haut zerschlagen ist, werde ich ohne mein Fleisch Gott sehen‘, was einer rein seelischen Auferstehung entspräche. Luther hat sich alles so hingebogen, wie es ihm in seinen Glauben gepasst hat.“