Schlechter Deal

Gemeinsam mit dem Kenianer Daniel Mburu Muhuni leistet der Hamburger Musiker Sven Kacirek Aufklärungsarbeit über das umstrittene Economic Partnership Agreement zwischen der EU und der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten

Daniel Muhuni und Sven Kacirek vor Muhunis Haus in Nairobi Foto: Agnieszka Krzeminska

Von Robert Matthies

Ein sanfter Bass und zurückhaltende Perkussion, darüber verhalten vor sich hin mäandernde Xylofonmelodien und Streicherfetzen. Man könnte wunderbar dösen zu dieser Musik. Aber dann rüttelt einen nach einer Minute eine Stimme wieder wach.

In knappen Worten erklärt der kenianische Politikwissenschaftler Henry Wavwire im ersten Track auf dem jetzt erschienenen Album „EPA“ des Hamburger Perkussionisten Sven Kacirek und seines kenianischen Kollegen Daniel Mburu Muhuni, was sich hinter der Abkürzung EPA verbirgt: Seit 2002 verhandeln die EU und die 79 Länder der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) – überwiegend ehemalige Kolonien europäischer Staaten – im Rahmen des komplexen Vertragswerks „Economic Partnership Agreement“ über Freihandelszonen.

Eigentlich hätte das Abkommen längst verabschiedet sein sollen. Aber etliche Staaten weigern sich noch immer, den Vertrag zu unterzeichnen. Denn anders als etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) können die ehemaligen Kolonien im EPA keine „Win-Win-Situation“ für beide Seiten erkennen. Und jene Staaten, die schließlich doch bilateral unterzeichnet haben, darunter Kenia und Ruanda, seien von der EU dazu gezwungen worden, erklärt der Generalsekretär des Forums kenianischer Kleinbauern, Justus Lavi Mwololo, in Kacireks und Muhunis Klangcollage: „Man kann der EU nicht trauen“.

Denn als Kenias Präsident Kenyatta sich weigerte, das Abkommen, das über 80 Prozent des kenianischen Marktes für Waren aus Europa öffnen soll, zu unterzeichnen, nutzte die EU ihre ganze ökonomische Macht: Sie erhöhte die Importzölle auf kenianische Schnittblumen, Kaffee und Bohnen drastisch. Die Konsequenzen für die kenianische Wirtschaft waren schnell zu spüren, denn die ist auf den europäischen Markt angewiesen: Fast jede Rose, die heute in Deutschland verkauft wird, stammt aus Kenia. Immer mehr Betriebe mussten schließen, die Arbeitslosigkeit stieg in diesen Branchen rasant – und Kenyatta lenkte ein.

„Das ist brutale Wirtschaftserpressung“, sagt Kacirek. „Trotzdem weiß in Kenia, aber auch in Deutschland kaum jemand von diesem Abkommen.“ Auch er selbst, der seit seinem viel beachteten Klangerkundungsprojekt „The Kenya Sessions“ in den vergangenen sieben Jahren immer wieder in das ostafrikanische Land gereist ist, habe erst vor zwei Jahren in einer kenianischen Zeitung davon erfahren, sagt Kacirek. Gemeinsam mit der Medientheoretikerin Agnieszka Krzeminska und Muhuni begann er daraufhin, zu recherchieren, nahm Kontakt auf zu kenianischen Ökonom*innen und Journalist*innen, zu Bauernverbänden und Arbeiter*innen in der Blumen- und Fischindustrie auf.

Finanziert vom Internationalen Koproduktionsfonds des Goethe-Instituts entstanden schließlich über 15 Stunden Interviews, die Kacirek und Muhuni für die zehn Tracks ihres Albums nach verschiedenen Themen sortiert, collagiert und schließlich musikalisch untermalt haben: Da geht es um die fehlende Transparenz der Verhandlungen, um die schlechte Infrastruktur und die Korruption in Kenia, um die gesundheitlichen Belastungen und die Umweltverschmutzung in der Schnittblumenindustrie oder die Auswirkungen des Klimawandels auf die auf Regenfeldbau angewiesenen Kleinbauern.

Vergangene Woche ist „EPA“ als limitierte Vinylausgabe beim Hamburger Label Pingipung erschienen – und als Download unter svenkacirek.bandcamp.com auch frei erhältlich. Denn verdienen wollen die drei mit der Platte gar nichts. Sondern über die komplizierten wirtschaftspolitischen Hintergründe des Abkommens informieren – und über seine verheerenden Konsequenzen für die betroffenen Menschen.

Und die Musik? Diesmal vor allem ein Vehikel, um das sperrige Thema zugänglicher zu präsentieren, sagt Kacirek: „Ich spüre immer mehr das Bedürfnis, mich mit meiner Musik auch politisch zu positionieren.“

Herausgekommen ist aber kein mit großer Pose abgegebenes politisches Statement, sondern eine angenehm zurückhaltende und darum umso eindringlichere Form interkultureller musikalischer Dokumentation – Edutainment im besten Sinne. Ganz unspektakulär: Kacirek und Muhuni lassen kritische Stimmen zu Wort kommen, die sonst kaum gehört werden. Und geben vor allem einen facettenreichen Einblick in die Lebensbedingungen derjenigen, die von den Auswirkungen des Vertragswerks betroffen sind.

Schaufensterkonzert bei Michelle Records: Mi, 6. 12., 18 Uhr; Plattenreleasekonzert: Fr, 8. 12, 21.30 Uhr, Westwerk