Leyla Yenirce
Inselstatus
: Abschied vom urbanen Versuchslabor

Foto: privat

Liebe Insel und liebe Leser*innen, dieser Brief geht heute nicht nur raus an Wilhelmsburg, sondern an all diejenigen, die sich jede Woche auf den Inselstatus gefreut haben. Ich werde mich ab dem nächsten Jahr neuen Themen widmen und die Insel wieder nur als Bewohnerin beobachten, schätzen und kritisch unter die Lupe nehmen.

Es hat mir Spaß gemacht, nach Details und Besonderheiten im vermeintlich gewöhnlichen Alltag zu suchen und ich habe noch keinen Stadtteil so gut kennengelernt wie diesen. In Wilhelmsburg, diesem urbanen Versuchslabor, ist ein Dönerladen eben nicht zwangsläufig nur ein Dönerladen. Er kann auch ein sozialer Treffpunkt unterschiedlicher Milieus sein. Die Straßen sind manchmal zwar ein bisschen schmutzig, dafür sagen sich die Menschen hier freundlich hallo, rojbaş oder merhaber. Auch wenn sie einem vielleicht nicht dabei helfen, nach einem Fahrradsturz wieder aufzustehen. Stadt ist nun Mal mehr als nur viele Straßen und Menschen auf engem Raum.

Die Stadt ist komplex und ihre Bewohner*innen sind es auch, deswegen lohnt es sich, genau hinzuschauen und von ihnen zu lernen. Ich weiß zwar nicht, was ich mir für deine Zukunft vorstelle, liebe Insel, aber ich hoffe, dass die Mieten in Wilhelmsburg nicht noch weiter steigen, dass die Menschen hier solidarisch und freundlich zueinander sind und dass das vietnamesische Restaurant am Ende der Veringstraße niemals schließt, denn es ist genau so gut wie der Dürüm bei Mehmet und Murat im Tadim Urfa oder der Bio-Käse vom Wochenmarkt am Stübenplatz. Auch wünsche ich mir, dass es keine sexuellen Übergriffe mehr auf Frauen gibt, aber wir nähern uns der Utopie erst Mal nur stückchenweise, zum Beispiel, in dem wir ein nettes Miteinander im urbanen Dschungel der Großstadt schaffen.

Nur eine Sache wird sich wahrscheinlich nie ändern. Der HVV ist und bleibt ein teurer Verein, der seinen Fahrplan nicht auf die Reihe kriegt. Immerhin bietet das Verkehrsunternehmen den Menschen einen Bus und eine S-Bahn, mit der man die Insel wieder verlassen kann. So wie ich jetzt, zwar nicht mit den Öffis im physischen, sondern mit Tastatur in der Hand im schriftlichen Sinne.

Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und hat an dieser Stelle in den vergangenen sechs Monaten wöchentlich aus Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie geschrieben.