Wesen aus Luft

Kamil Stoch gewinnt schon wieder vor Richard Freitag. Der Pole wird im Kampf um den zweiten Tournee-Sieg hintereinander nur schwer zu schlagen sein

Kamil Stoch fliegt über das Logo des veranstaltenden Skiklubs Partenkirchen Foto: reuters

Aus Garmisch-Partenkirchen Klaus-Eckhard Jost

Es wird schon zu einem Ritual. Bei der Pressekonferenz bittet Richard Freitag seinen Konkurrenten Kamil Stoch zum gemeinsamen Foto. Dazu rückt der Pole gerne auch ein wenig näher an seinen deutschen Kollegen heran. Danach folgt ein kleiner Plausch. Die beiden kennen sich, sie respektieren sich. „Kamil war sehr, sehr stark“, sagte Freitag nach dem Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen. So wie zuvor auch schon beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee in Oberstdorf. Wieder lautete das Endergebnis: Sieger Stoch, zweiter Platz Freitag. Bundestrainer Werner Schuster dazu: „Ein Springer ist vor Ritschi, der mit allen Wassern gewaschen ist. Der hat schon alle Titel gewonnen.“

In Bischofshofen 2017 hatte der 30-Jährige den Schritt von einem herausragenden Skispringer zu einem außerordentlichem Skispringer gemacht. Mit dem Sieg beim Abschlussspringen der Tournee holte er sich den letzten Titel. Seitdem gehört der Mann aus Zakopane zu jenem erlauchten Kreis von Springern, die Olympiasieger, Weltmeister, Gewinner des Gesamt-Weltcups und Tournee-Triumphator geworden sind. Vor ihm war dies lediglich dem Norweger Espen Bredesen, Thomas Morgenstern (Österreich), Matti Nykänen (Finnland) und Jens Weißflog aus Oberwiesenthal gelungen.

Vor dieser Saison hat sich Polens Cheftrainer Stefan Horngacher sehr viel mit dem Sportler, der stets den Hang zum Perfektionisten hat, unterhalten. Natürlich über Skispringen, aber auch über Persönliches. „Ich habe ihm gesagt, er kann die Tournee und Olympia in vollen Zügen genießen, denn er hat bei beiden Veranstaltungen schon einmal gewonnen“, berichtet Horngacher. Das bedeutet auch, dass sein Springer geduldiger und entspannter werden solle. Doch so schnell konnte Stoch den Schalter nicht umlegen. „Ich verstehe schon, was Stefan meint“, erzählte er noch vor der Saison, „ich sage mir auch immer, dass ich nicht alles so eng sehen und hektisch agieren soll. Aber das kann ich nicht.“ Denn wenn er oben auf dem Bakken sitze, dann wolle er immer sein Bestes geben.

Der freie Mann

In Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen hat er nun bewiesen, dass es auch auf dem anderen Weg geht. Wenn er nicht so angespannt ist, dann kann er auch mehr genießen. Zum Beispiel dieses einzigartige Spiel mit der Luft, für das der Mann aus Zakopane eine besondere Fähigkeit entwickelt hat. „Luft ist mein zweites Wesen, ich spüre gerne Luft beim Skifliegen, wie sie sich bewegt“, sagt der Pole, „das macht mich glücklich und zu einem freien Mann.“ Auf dieses Gefühl möchte er auch dann nicht verzichten, wenn er einmal nicht mehr Ski springen sollte. „Ich würde mir gerne meinen großen Traum erfüllen und Pilot werden“, sagt Stoch. „Skispringer und Pilot zu sein liegt eng beisammen“.“

Er ist nicht der einzige Springer, der so denkt. Simon Ammann und Thomas Morgenstern haben bereits eine Fluglizenz. Und wie diese möchte er keine großen Passagiermaschinen pilotieren, sondern kleine Privatflieger. Es sei eine innigere Beziehung. „Da bist du und das Flugzeug“, beschreibt er, „und du bist der Herr über das Geschehen.“ So wie beim Skispringen.

Dass Kamil Stoch bei den Skispringern landen würde, hat sich schon früh abgezeichnet. Er ist im polnischen Sprungzentrum Zakopane aufgewachsen. Mit drei Jahren stand er zum ersten Mal auf Ski, mit neun wagte er die ersten Hüpfer über eine Schanze. Mit 16 Jahren gab er dann beim Heimspringen in Zakopane sein Debüt im Weltcup. Und seinen ersten von mittlerweile 24 Siegen holte er sieben Jahre später – in Zakopane.

Nach Stochs beiden Anfangserfolgen bei der Tournee wird Sven Hannawald direkt etwas ängstlich. Der konnte vor 16 Jahren als erster Springer alle vier Springen gewinnen. Keinem anderen ist das je gelungen. Richard Freitag ist derjenige, der dafür sorgen könnte, dass das so bleibt. Der sagt ganz kühl: „Lasst den Sven doch noch etwas zittern …“ Wenn er die Tournee gewinnen will, dann muss er sowieso mindestens einmal vor Kamil Stoch landen.