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: aus- und weiterbildung

Auf der Suche nach neuen Kriterien

Die meisten Medizin-Fakultäten sehen sich im Einklang mit der neuen Numerus-Clausus-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Was fehlt, sind aber noch einheitliche Zulassungsbedingungen

Von Adèle Cailleteau

Der Numerus Clausus als zentrales Kriterium bei der Vergabe der Medizinstudienplätze ist mit dem Grundrecht auf freie Ausbildungswahl nur bedingt vereinbar – diese Mitte Dezember gefallene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begrüßen die meisten Nord-Universitäten. Sie halten sie für „richtig“ und sogar „sehr positiv“.

Die aktuelle Vergabe der bundesweit gut 9.000 Plätze nach den Kriterien Abiturnote (20 Prozent) und Wartezeit (20 Prozent) sowie einer Auswahl durch die Universitäten (60 Prozent) sei grundsätzlich verfassungskonform, urteilten die Karlsruher Richter. Dennoch müssen einzelne Punkte verändert werden, um die Chancengleichheit der Studierenden zu wahren: Bis Ende 2019 soll die Politik ein neues, einheitliches Zulassungsverfahren schaffen. So sollten etwa Eignungsgespräche an den Universitäten in „standardisierter und strukturierter Form“ stattfinden, um die Chancengleichheit zu wahren.

Die Nord-Universitäten sehen sich schon jetzt auf gutem Wege. Die Abi-Note sei der Ausgangspunkt der Auswahl, als „Indikator der Leistungsfähigkeit“, sagt Ingolf Cascorbi vom Dekanat der Medizinischen Fakultät der Uni Kiel. Dies sei verfassungskonform, solle aber nicht als einziges Kriterium gelten. Auch „sozial-kommunikative“ und „empathische“ Kompetenz seien für den Arztberuf erforderlich. „Beste Noten heißt nicht bester Arzt“, sagt Boris Pawlowski, Sprecher der Kieler Uni.

Um die Einfühlsamkeit zu prüfen, organisiert das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf neun Interviews à fünf Minuten für alle Bewerber*innen, während derer sie mit Schauspielpatienten konfrontiert werden. Aufgabe kann zum Beispiel sein, einer leicht dementen Person zu erklären, wie eine Analoguhr funktioniert; jede dieser Aufgaben wird bewertet. Auch die Universität Göttingen hat seit 2013 solche „Rollenspiele“ im Zulassungs-Parcours.

Als Ergänzungsqualifikation – neben der Abi-Note – schauen viele Universitäten, darunter Kiel oder Göttingen, darauf, ob Bewerber*innen eine Ausbildung im gesundheitlichen Bereich abgeschlossen haben: So ein Abschluss „verbessert“ die Abi-Note um 0,3. Gegen ein solches Vorgehen hat sich die Uni Hamburg entschieden: Sie will niemanden ermuntern, eine Ausbildung zu machen, ohne in dem entsprechenden Beruf auch wirklich arbeiten zu wollen. In Hamburg gibt es dafür aber einen ergänzenden Kenntnis-Test. In Kiel, Göttingen und 20 weiteren Unis wiederum können Bewerber*innen durch den freiwilligen „Test für Medizinische Studiengänge“ (TMS) ihre Abi-Note um bis zu 0,5 senken.

Jede Uni macht es also derzeit anders, was für Unklarheit sorgt. Ziel des Verfassungsgerichts ist eine Vereinheitlichung des Verfahrens und seine Standardisierung. Wolfgang Hampe vom Hamburger Uniklinikum kann sich vorstellen, dass ein bundeseinheitlicher Test kommen wird, um den TMS und andere dezentrale Eignungsprüfungen zu ersetzen.

Ein weiteres großes Problem für die Chancengleichheit bleibt aber: Auch nach dem Urteil bleibt die Bildung Ländersache, und der Abi-Schnitt etwa in Hamburg variiert erheblich von dem in Niedersachsen. Ob an dieser Stelle irgendwann ein bundesweit einheitliches Zentralabitur Abhilfe schafft, ist völlig offen.