Kito Nedoschaut sich in Berlins Galerien um
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Der Berliner Winter nähert sich seinem schmutzigen Tiefpunkt. Vielleicht macht gerade dieser Umstand den haushohen Streifen zwischen zwei Gebäuden gegenüber dem südlichen U-Bahn-Zugang am Rosa-Luxemburg-Platz so schön surreal. Im vergangenen Spätsommer hat das walisisch-deutsche Künstlerduo Awst & Walther hier auf Einladung des Kunstvereins am Rosa-Luxemburg-Platz eine „Scheinfassade“ mit dem Titel „Be Water I: Gap to Feed“ errichtet, welche mit einem Mosaik mit sehr vielen Miesmuschelschalen belegt ist. Es macht Spaß, mit der Hand über ihre Oberfläche zu streichen. Ja, das Meerestier „Mytilus edulis“ wird auch die „Auster des kleinen Mannes“ genannt. Aber mir kommt unwillkürlich das alte situationistische Graffiti vom Pflasterstrand in den Sinn: „Sous les pavés, la plage!“ Niemand wusste diesen Satz einst so gut ins Mikrofon zu schreien wie der Hausbesetzer und Punksänger Aljoscha Rompe, der vor langer Zeit auf der anderen Seite der Kreuzung lebte: „Unter dem Pflaster, da liegt der Strand – komm, reiß auch du ein paar Steine aus dem Sand!“ (Rosa-Luxemburg-Str. 43).

Biegt man von der Rosa-Luxemburg-Straße rechts in die Linienstraße ein, gelangt man zur Galerie Dittrich & Schlecht­riem, die unter dem Titel „Beobachtung“ eine Gruppenausstellung mit einem reichlichen Dutzend Künstlerinnen und Künstlern präsentiert, die einst mit dem zwischen 2009 und 2014 aktiven „Institut für Raumexperimente“ assoziiert waren (u. a. Clara Jo, Nina Schuiki, Sophia Pompéry, Alvaro Urbano oder Andreas Greiner). Der Institutsleiter Olafur Eliasson liebt bekanntermaßen sozial-räumliche Experimente hart an der Grenze zum Managerseminar, wie etwa das Durchqueren eines öffentlichen Parks in Zeitlupenbewegung. Das Spiel mit Erwartungen beherrscht auch Matthias Sohr perfekt: Gleich im Eingangsbereich der Galerie hat der Künstler „Strut“ (2017) installiert, eine Art Readymade in Form eines unbewegten Treppenlifts, der sich horizontal über die ganze Wand erstreckt (bis 10. 2., Di.–Sa. 11–18, Linienstr. 23).

Mit der U2 gibt es eine Verbindung zur Potsdamer Straße, wo in der Editionsgalerie von Alfons Klosterfelde eine Auswahl von zehn Teppichobjekten der Künstlerin Rosemarie Trockel aus der zweiten Hälfte der Achtziger präsentiert wird. Einige tragen den Schriftzug „Made in Western Germany“, bei anderen treten zahlreiche Plus- und Minuszeichen gegeneinander an. Die Teppiche scheinen auf Sockelplatten im Raum zu schweben. Sie wecken keine nostalgischen Gefühle. Aber berühren würde man sie gern mal (bis 24. 2., Do.–Sa. 11–18, Potsdamer Str. 97).