Glanz des dekorierten Schuppens

Mit der Ausstellung „Capitol, Gloria, Schauburg“ in der Galerie Poll verneigt sich der Fotograf Richard Thieler vor der Anmut alter Lichtspielhäuser. Seine Fotos erzählen Berliner Kino- und Stadtgeschichte

Nur der Neonschriftzug weist auf den Spielbetrieb hin: das Kino Intimes 2014Foto: Richard Thieler/Galerie Poll

Von Brigitte Werneburg

Spricht man mit Richard Thieler auf der Vernissage seiner Ausstellung „Capitol, Gloria, Schauburg“ und erfährt von ihm, dass er noch immer nicht alle Kinos in Berlin fotografiert hat, von denen immer noch rund 75 in Betrieb sind, möchte man das eigentlich nicht glauben.

Denn die Zeit der Capitols, Glorias und Schauburgen ist vorbei. Kinos sind heute Multiplexanlagen wie das zuletzt am Bahnhof Zoo eröffnete Delphi Lux, ein funktional wunderbares Kino, das als European Film Award Cinema deshalb auch das Publikumskino des Europäischen Filmpreises ist. Gleichzeitig macht es in brutaler Konsequenz deutlich, wie sehr wir unsere Ansprüche an Glamour heruntergeschraubt haben.

Verblasste Kinoseligkeit

Glanz strahlt freilich auch das alte Delphi-Kino nicht mehr aus, das Thieler 2017 in Berlin-Weißensee fotografiert hat. Die Fassade bröckelt, der elegant geschwungene Schriftzug ist von der Stromleitung abgekappt, der Eingang und die Schaufenster sind tot und leer. Man kann sich leicht ausmalen, dass selbst dieser letzte Rest von einstiger Kinoseligkeit bald abgebaut, verschwunden und für immer vergessen ist.

Ein Glück also, dass Richard Thieler das Delphi gefunden und fotografiert hat. Man kann Thielers Beitrag zum städtischen Gedächtnis gar nicht hoch genug einschätzen. Auch wenn, entgegen den Erwartungen, das 1929 noch als Stummfilmkino eröffnete Delphi in diesem Jahr als Veranstaltungsort für Tanz, Konzerte und Schauspiel neu eröffnet werden soll. Seit 2009 verfolgt der 1963 geborene Fotograf sein Projekt Kino, also die Suche nach alten Lichtspielhäusern, die ihn nach Großbritannien, Polen, Portugal, Irland, Norwegen, Tschechien, Frankreich und die USA geführt hat, wobei über 500 Aufnahmen von Kinos entstanden.

45 davon mit dem Schwerpunkt Berlin und den neuen Bundesländern sowie Polen sind jetzt in der Gipsstraße 3 zu sehen. Der Clou dabei: Betritt man den Hinterhof, der zur Galerie Poll führt, stößt man als Erstes auf einen roten Neonschriftzug mit dem Wort KINO. Die Installation auf dem Gasheizhaus ist freilich kein Teil der „Capitol, Gloria, Schauburg“-Ausstellung, sondern die dauerhaft angebrachte documenta-Arbeit des Wiener Künstlers Peter Friedl von 1997.

So frontal wie Friedls KINO einem entgegenstrahlt, so frontal platziert auch Richard Thieler seine Kamera vor die Kinos, die er aufnimmt. Und das ist auch richtig so, denn die Fassade vor allem ist das Kino, das schon immer, auch in Europa und gerade in der Großstadt, der dekorierte Schuppen war, wie ihn 1972 Venturi/Brown/Izenour in „Learning from Las Vegas“ beschrieben. Trotzdem dringt Thieler mit seinen Ansichten in die Tiefenschichten der Stadt- und Kinogeschichte vor. Da überlagern etwa 1990er-Jahre-Graffiti die graue Bunker-Fassade des 1981 von Honecker selbst eröffneten Sojus-Kinos in Marzahn. Ein Investor lässt sich schnell googeln, dieser baut es nun zum Rewe-Markt um und setzt zwei­einhalb Geschosse fürs Senioren- und Pflegewohnen obendrauf. Mehr Stadt- und Mentalitätsgeschichte in Kürze geht nicht.

Frontal platziert Thieler seine Kamera vor die Kinos, die er aufnimmt. Und das ist richtig so

Ein typisches Ladenkino waren 1909 die Lichtspiele des Ostens, das heutige Kino Intimes, das auf Richard Thielers Aufnahme von 2014 so mit Plakaten, Street Art und Graffiti überdeckt ist, dass allein der Neonschriftzug in typischer 70er-Jahre-Typografie noch Spielbetrieb verheißt. 110. Geburtstag feiern dieses Jahr die Tilsiter Lichtspiele, deren Eingang der Fotograf in einem Hinterhof fand.

Das Kino war natürlich auch bald eine eigene Bauaufgabe, ein freistehendes repräsentatives Bauwerk in der Tradition der Theatergebäude und Tanzpaläste. Ein Beispiel dafür ist das 1953 für das in Berlin stationierte amerikanische Militärpersonal erbaute Outpost in Zehlendorf. Der freistehende Kinobau erinnert mit seinen Fensterbändern und Treppenhäusern an die modernen Zweckbauten der 1920er und 1930er Jahre.

Gleichzeitig will der Baukörper das Medium Film symbolisieren, die Ausbuchtungen zu beiden Seiten gleichen einer Filmrolle und der Kinoeingang verweist auf das schwarze Filmband. Richard Thieler hat diese selbstbewusste, amerikanische Architektur in Berlin bei Nacht fotografiert. Und weil das Outpost heute Teil des Alliierten-Museums ist und vor dem Gebäude ein altes Flugzeug postiert wurde, hat Richard Thieler diese Situation genutzt und in einer Schrägsicht eine wunderbare farbige „Casablanca“-Reminiszenz daraus gemacht.

Bis 24. Februar, Galerie Poll, Gipsstr. 3, Di.-Sa. 12–18 Uhr