Die Jungs vom Schloon

Mit „Effi Briest (27)“ inszeniert Leonie Böhm Fontanes Klassiker ausgesprochen frei – und mit bester Laune. Nur bleiben die Qualitäten der Vorlage dabei weitgehend auf der Strecke

Familie Briest am Goetheplatz: Vater, Mutter, Kind Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Von Karolina Meyer-Schilf

Sollte man das Stück in nur zwei Worten beschreiben und wäre man überdies auch noch bösartig und humorlos, dann könnte man sagen: elitäres Schmarotzerstück, das. Elitär, weil es sich absolut auf ein Pub­likum verlässt, das den klassischen bürgerlichen Bildungskanon genossen hat. Das Theodor Fontanes „Effi Briest“ in unzähligen gymnasialen Deutschstunden durchgekaut hat, mit allem, was dazugehört, das textsicher ist und sich sofort zurechtfindet in den paar Brocken Originaltext, die man ihm an diesem Premierenabend hinwirft: die Sonnenuhr, das kittelartige Hängerkleid, der Chinese, der Haifisch, der Schloon. Und natürlich: „Es ist ein weites Feld“, aber das kennt ja ohnehin jeder – auch wenn er vielleicht nicht weiß, woher.

Ein weites Feld ist bekanntlich auch die Sache mit der Inszenierung von Theaterstücken. Und damit das nach diesem schlechtgelaunten Einstieg gleich klar ist: Das, was Regisseurin Leonie Böhm da auf die Bühne des Kleinen Hauses am Goetheplatz gebracht hat, ist schon richtig, richtig lustig. Die Schauspieler in diesem rein männlich besetzten Stück – warum noch mal? Egal, es stört wirklich überhaupt nicht – sind allesamt in Topform.

Johannes Rieder spielt einen sehr lässigen, sehr lustigen hippiesken alten Briest und nebenher ein gepflegtes Keyboard. Justus Ritter überzeugt als überdreht-verkorkste Mutter, die ihre Tochter an den – mit Matthieu Svetchine ein ganz kleines bisschen zu sanft und gutmütig geratenen – viel älteren Innstetten verschachert, den sie vor 20 Jahren am liebsten selbst geheiratet hätte. Und Alexander Angeletta gibt eine verträumt-zersauste Effi im Neon-Look. Regisseurin Leonie Böhm, die mehr schaffen wollte als nur eine reine Nacherzählung des bekannten Romans, hat den Schauspielern dabei offensichtlich große Freiheiten eingeräumt.

Und es macht einfach Spaß, ihnen dabei zuzusehen, auch wenn man eigentlich nicht so recht weiß, wobei genau. Effi Briest ist es jedenfalls nicht. Und es stellt sich dann schon die Frage, ob es für die revuehafte Darstellung einer Dreiecksbeziehung wirklich die starken Schultern Fontanes gebraucht hätte, um sich ausgerechnet daran abzustützen. Sicher gäbe es da andere Kandidaten als Vorlage, zumal Effi Briest im Grund auch gar keine Dreiecksgeschichte, nicht einmal eine Liebesgeschichte ist. Bei einer Dreiecksgeschichte müssten ja drei Menschen in irgendeiner emotionalen Beziehung zueinander stehen – oder zumindest zwei von ihnen mit jeweils einem anderen. Das ist bei Effi Briest nicht der Fall: Effi liebt weder Innstetten noch Crampas, und dass einer der beiden Männer nun Effi lieben würde, kann man so eigentlich auch nicht sagen.

Innstetten, dem „Erzieher“, geht es um das sichtbar morsch gewordene Ehr- und Moralgefüge, in dem er gefangen ist, Effi um den Status, Crampas um die „Girls“, das immerhin ist im Stück gut getroffen, auch wenn ihm Vincent Basse mit seiner – exzellent gespielten – norddeutsch-bratzigen „Dumm fickt gut“-Charakterisierung ein bisschen Unrecht tut. Den großartigen und auch 124 Jahre nach seinem Erscheinen immer noch fesselnden Entwicklungsroman als Vorlage zu nutzen, um dann darüber ein paar – zugegeben gute – Witze zu machen, ist aber nun doch etwas wenig.

Die Absicht, dem Roman mit dem Stück in irgendeiner Weise gerecht zu werden, bestand ohnehin nicht ernsthaft – nicht umsonst heißt es hier ja „Effi Briest (27)“ und ist ein „Spiel nach Fontane“. Ist aber wirklich alles nicht so schlimm: Denn dass Schauspieler und Publikum ganz offensichtlich ziemlich viel Spaß an der Sache hatten, ist heutzutage ja auch schon eine ganze Menge wert. Und die paar Meckerer im Publikum, die bei den immer wieder eingestreuten und gelegentlich humorvoll überzeichneten Textzitaten lautstark das Original dagegenhielten, sind wahrscheinlich dieselben, die mit dem Klavierauszug auf den Knien im Konzert ein Oratorium verfolgen.

Insofern: Wer gut gelaunte Unterhaltung mit bildungsbürgerlicher Selbstvergewisserung sucht, ist hier genau richtig. Insider reiht sich an Insider, dazu gibt es tolle Schauspieler und zwischendurch auch noch Musik. Und Effi Briest? Steht ja zu Hause im Regal.

So, 18. 3., 18.30 Uhr sowie Mi, 18. 4., 11 und 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus