kolumne afrobeat
: Die Brexit-Hoffnung

Bringt der britische EU-Austritt Afrika Vorteile? Der zu Unrecht belächelte Commonwealth bietet eine Grundlage für eine neue Nord-Süd-Partnerschaft

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Dominic Johnson

ist seit 2011 einer der beiden Leiter des Auslandsressorts der taz. Als Afrikaredakteur ist er seit 1990 bei dieser Zeitung.

Auf keinem Kontinent der Welt spielt der Commonwealth, die Nachfolgeorganisation des britischen Kolonialreichs, zahlenmäßig eine so wichtige Rolle wie in Afrika. 18 afrikanische Länder – 19 mit Simbabwe, das gerade in die Organisation zurückkehrt – sind Mitglieder, in ihnen lebt die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung, und nirgendwo sonst sind auch Länder, die nie von Briten kolonisiert wurden, diesem Staatenbund beigetreten. Der Commonwealth-Gipfel in London, der jetzt zu Ende ging, war denn auch ein Schaulaufen der Staatschefs, eine seltene Gelegenheit zum Glanz vor einer imposanten Kulisse.

Außerhalb der „Anglosphäre“ gibt es wenig Verständnis dafür, dass es das Commonwealth überhaupt gibt. Ist es nicht einfach der Schatten des verblichenen Empire, museumsreifes Theater ohne Funktion? Bedeutet ein solcher Gipfel in London gerade in Brexit-Zeiten nicht imperiale Nostalgie, die Teilnahme afrikanischer Führer einen Mangel an Selbstbewusstsein? Solche Kritikpunkte gehen aber am Wesentlichen vorbei.

Der Commonwealth hat keine originäre politische Funktion und ist gerade deswegen auf risikoarme Weise für die Führer seiner Mitgliedstaaten attraktiv. Anders als Frankreich hatte sich Großbritannien bei der Entkolonisierug von seinem Empire nämlich weitgehend abgewendet. Paris sieht seine ehemaligen afrikanischen Kolonien bis heute als militärische, politische und ökonomische Einflusssphäre, die Frankreichs Weltmachtanspruch unterfüttert. London definiert seine globale Rolle über seine zentrale Funktion in der Weltwirtschaft; die politische Entwicklung seiner Exkolonien ist Großbritannien so egal gewesen, dass die Wünsche nach Einflussnahme in umgekehrte Richtung laufen mussten.

Schon 1966 wäre der Commonwealth wahrscheinlich auseinandergeflogen, wenn London sich nicht den Forderungen mehrerer seiner afrikanischen Exkolonien gebeugt hätte, den 1965 illegal ausgerufenen weißen Siedlerstaat „Rhodesien“ mit scharfen gemeinsamen Sanktionen zu belegen und damit zu isolieren, bis London 1979 notgedrungen wieder die Kontrolle übernahm und das Land 1980 als „Simbabwe“ in die Freiheit entließ. Auch gegen die Apartheid in Südafrika in den 1980er Jahren und gegen die Militärdiktatur in Nigeria in den 1990er Jahren war das gemeinsame Eintreten des Commonwealth für Demokratie zentral beim Aufbau internationalen Drucks, London war eher Nachzügler.

Das Commonwealth ist in der Weltpolitik eine Art Alumni-Verband, der den Vorteil hat, dass die Mitglieder damit anfangen können, was sie wollen. Er ist „Soft Power“ in Reinform, eher politische Kultur als politische Organisation, basierend auf einer gemeinsamen Vergangenheit, einer gemeinsamen Sprache und gemeinsamen Grundsätzen des Rechtssystem. Das ist wichtig in Handelsfragen und auch beispielsweise im Bildungswesen.

Wenig bekannt ist die Vorreiterfunktion des Commonwealth in der Migrationspolitik. Sie könnte in Zeiten der globalen Abschottung Vorbildcharakter haben, wenn London offensiv dazu stünde, was leider nicht der Fall ist. Commonwealth-Bürger gelten in Großbritannien rechtlich nicht als Ausländer. Sie sind zwar auch keine Briten, aber sie genießen das aktive und passive Wahlrecht und können deutlich leichter ein dauer­haftes Aufenthaltsrecht erwerben. Immer mehr Commonwealth-Staaten haben außerdem untereinander Visafreiheit oder Reise- und Aufenthaltserleichterungen eingeführt.

Hätte sich nach dem Brexit-Referendum die auch von Theresa May gern genutzte Parole vom „Global Britain“ auch in der Wirklichkeit durchgesetzt, dann könnte Großbritannien jetzt beginnen, den berühmten, in Brüssel als einzigartige Errungenschaft gepriesenen „vier Freiheiten“ des EU-Binnenmarkts ein weltumspannendes und eben nicht nur Europäern vorbehaltenes Modell von Freizügigkeit und Gleichberechtigung gegenüberzustellen.

Das würde dem auf dem Papier geltenden Selbstverständnis des Commonwealth entsprechen und könnte die Organisation sogar zu einem Vorbild einer gerechten Globalisierung im 21. Jahrhundert machen. In keiner anderen internationalen Organisation sind so viele Grundsätze und Instrumente bereits angelegt, die dazu beitragen könnten, den unmenschlichen Skandal der europäischen Abschottung gegenüber Afrika zu beenden.

Afrika könnte der große Gewinner des Brexits sein, prognostiziert das renommierte Institute for Security Studies (ISS) in Südafrika in einem pünktlich zum Commonwealth-Gipfel veröffentlichten Papier. So könnte Großbritannien afrikanischen Handelspartnern bessere Bedingungen bieten, als es die EU in ihren in Afrika scharf kritisierten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) getan hat. Aber dafür, so das ISS-Papier, müssten die Briten „Großbritannien“ und nicht „Kleinengland“ sein wollen, und auch Afrika müsse neu denken, indem es geeint auftrete.

Der Commonwealth hat keine originäre politische Funktion und ist gerade deswegen attraktiv

Die Suche in Afrika nach neuen Partnern jenseits alter kolonialer Bande ist ja schon längst im Gange. Die Attraktivität von London und Paris verblasst zunehmend nicht nur hinter New York und Peking, sondern auch hinter Istanbul, Moskau, Tel Aviv oder Neu-Delhi. Je mehr Alternativen sich anbieten, desto souveräner können afrikanische Länder ihre Interessen verteidigen.

Bedeutet der Brexit für Afrika in seinen Beziehungen zu London also eine Rolle rückwärts ins Empire oder einen Sprung nach vorn in Richtung einer gerechteren Nord-Süd-Partnerschaft?

Die Entwicklung des Commonwealth wird für die Antwort den Schlüssel bieten. Dass der nächste Staatengipfel der Organisation in zwei Jahren erstmals in einem nie zum Empire gehörenden Land stattfinden wird, nämlich in Ruanda, dessen Regierung an vorderster Front bei der Herausbildung einer selbstbewussten afrikanischen Diplomatie steht, mag dafür ein gutes Zeichen sein.