Linke will Sitzenbleiben

In Hamburg ist freiwilliges Wiederholen fast unmöglich. Nach taz-Bericht stellte die Linke einen Antrag, dies zu ändern. Damit befasst sich nächsten Freitag der Schulausschuss

Zehn Jahre Schulzeit reichen nicht für alle, um ihre Potenziale zu entfalten Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Von Kaija Kutter

„SPD killt Ambitionen – kein Aufstieg mehr durch Bildung“, mit dieser Überschrift machte die taz Ende August vorigen Jahres auf eine problematische Regelung im Hamburger Schulsystem aufmerksam. Denn Schulabgängern wurde durch eine schleichende Verschärfung die freiwillige Wiederholung der zehnten Klasse fast unmöglich gemacht.

So musste zum Beispiel der damals 16-jährige Ahmed* im Sommer 2017 die Schule mit einem Hauptschulabschluss verlassen, obwohl er länger krank war und liebend gern das Jahr wiederholt hätte, um den Realschulabschluss zu schaffen. Denn er wollte Polizist werden, wofür man den „Real“ braucht. Mit dem Hauptschulabschluss ist die Berufswahl sehr eingeschränkt.

Ahmed war Opfer einer verschärften Hürde, die Schulsenator Ties Rabe (SPD) im Juli 2016 durch den Schulausschuss brachte. Sie besagt, dass Schüler auch nach langer Krankheit nur dann die 10. Klasse wiederholen dürfen, wenn zu erwarten sei, dass sie einen höheren Abschluss schaffen. Denn andernfalls sollten sie besser gleich eine Lehre suchen. Und als Kriterium für diese Vorhersage gilt eine Notenhürde. Selbst Ahmeds Hauptschulzeugnis mit Note 2,0 galt formal als nicht „gut“ genug, um ihm den Realschulabschluss zuzutrauen, da er in Mathe, Deutsch und Englisch jeweils auf Drei stand.

Die Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus (Die Linke) versprach im August im taz-Interview, sich der Sache anzunehmen. Sie hielt Wort und brachte im November den Antrag „Chancengleichheit durch mehr Durchlässigkeit“ in die Bürgerschaft ein. Es dauerte eine Weile, doch nun steht er am nächsten Freitag im Schulausschuss auf der Tagesordnung, sogar an erster Stelle.

Boeddinghaus fand durch eine Anfrage heraus, dass Stadtteilschüler wie Ahmed durch die strenge Regel benachteiligt sind. So wurde im vergangenen Jahr 269 Stadtteilschülern die Wiederholung verboten, aber nur 22 Gymnasiasten. Zudem kritisiert sie, dass das Noten-Umrechnungssystem der Stadt schwächere Schüler stärker benachteiligt. Denn wer das letzte Jahr seiner Schulzeit wiederholen möchte, darf in Deutsch, Mathe und Englisch nur zweimal die Note 3 haben – in der Notenwährung für den nächst höheren Schulabschluss.

Hier liegt die Krux. So beträgt der Abstand zwischen Hauptschulnote und Realschulnote zwei Notengrade. Beim Übergang vom Realschulabschluss zu Oberstufen-Berechtigung beträgt er dagegen nur einen Notengrad. Sprich: Eine Hauptschul-Drei ist eine Realschul-Fünf. Eine Realschul-Drei ist eine Gymnasiums-Vier.

„Der Schritt von einem niedrigen zum mittleren Abschluss wird doppelt so schwer gemacht“, kritisiert Boeddinghaus. Zusätzlich erschwert werde die Sache, weil nur noch die Schulbehörde über die Anträge entscheidet. „Damit wird den Schulen, die das Potenzial ihrer Schüler an besten einschätzen können, die Einflussmöglichkeit genommen.“

In Hamburg gibt es begleitende Förderung statt Sitzenbleiben. Weil es kostet, wenn Schüler die 10. Klasse wiederholen, gibt es Hürden.

An Gesamtschulen gab es noch nie Sitzenbleiben, aber freiwilliges Wiederholen der 10. Klasse. Hürden gibt es seit 1998. Zuerst war eine Hauptschul-Zwei in einem der Hauptfächer Bedingung.

Seit 2011 gibt es Stadtteilschulen. Die Hürde erhöhte sich auf zwei Hauptfächer-Hauptschul-Zweien.

Seit 2015 darf es zudem nur vier Hauptschul-Dreien und keine einzige Vier geben.

Das Muster gilt auch für Wiederholer mit dem Ziel Oberstufe.

Die Linke forderte in ihrem Antrag, dass die Schulbehörde zum neuen Schuljahr ein Konzept „für die (Wieder-)Herstellung der Chancengleichheit“ erarbeitet. Dazu zählt die Änderung der Notenumrechnung von derzeit zwei auf einen Notengrad, wie es in Schleswig-Holstein üblich ist. Außerdem solle allen Schülern das freiwillige Wiederholen zur Erlangung eines höheren Abschlusses erlaubt werden.

„Wir zielen mit unserem Antrag mitnichten auf ein erneutes ‚Sitzenbleiben durch die Hintertür‘, sondern auf die Stärkung der Rechte des einzelnen Schülers“, sagt Boeddinghaus. Zehntklässler seien in einem Alter, wo sie dies entscheiden könnten.

Die Schulbehörde war für eine politische Stellungnahme zum Thema nicht zu erreichen, weil gerade Maiferien sind.

Indes hat Ahmed einen Ort gefunden, wo er weiter zur Schule gehen kann – in einem anderen Bundesland. „Die Lehrer hier haben ein gutes Bild von mir“, freut er sich. „Ich habe gute Noten.“ *Name geändert