allergikerallergie von ILKE S. PRICK
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„O, bitte nicht hier!“, nölt Beate mit Blick auf die Tischdecken im Biergarten. Ich frage mich, seit wann sie ästhetische Maßstäbe ans Gastronomische legt und was an Rotkariert so verkehrt sein kann, aber da ist sie auch schon schniefend in den dunklen Tiefen italienischer Kochkunst verschwunden. „30 Grad, sternenklar, und wir sitzen in einer Kunsttropfsteinhöhle. Na prima!“, ist das Einzige, was ich von Giselas Gemaule dechiffrieren kann.

„Es ist nur wegen der Pollen“, jammert Beate und blickt uns tragikschwanger an, bevor sie etwas wie „Gräser, echt übel, und jetzt auch noch Beifuß“, in ihr Taschentuch trötet. Gisela geht hinter der Speisekarte in Deckung. „Gibt es hier Wasser mit Sauerstoffzusatz?“, fragt sie japsend, denn es regt sich kein Lüftchen, nachdem Gino wegen Beates Zugempfindlichkeit den Ventilator abgestellt hat. Eine Antwort bekommt Gisela nicht, da Beate mittlerweile eine Fachdiskussion angezettelt hat.

„Ist im Salat mit Schafskäse auch wirklich Schafskäse drin?“, beginnt sie harmlos, als Gino mit Block und Stift am Tisch aufgetaucht ist. „Selbstverständlich“, antwortet er seelenruhig, „sonst stünde es ja nicht in der Karte.“ Beate scheint keineswegs überzeugt. „Untersuchungen haben aber ergeben, dass in Schafskäse auch Kuhmilchbeimischungen sein können. Ich habe nämlich eine Laktoseunverträglichkeit, da bekomme ich ganz schlimme Eiterpickel und Bauchweh, wenn ich Kuhmilch zu mir nehme.“ Zur Unterstreichung ihrer potenziellen Qualen verdreht sie die Augen, und ich frage mich, ob das nicht eher auf Rinderwahn hindeutet.

„Kann ich den Schafskäsesalat vielleicht auch ohne Schafskäse haben“, beendet Beate ihre Bedenkzeit, „dafür aber mit etwas mehr Ruccola? Und zu viel Säure ist ja auch nicht gut auf die Nacht. Können Sie deswegen vielleicht keine Tomaten, dafür aber mehr Gurken nehmen? Geht das?“ – „Selbstverständlich“, sagt Gino wieder wohltemperiert, und ich überlege, wann ich wohl das nächste Mal hier auftauchen kann, ohne schamrot zu werden.

Als Beate dann zum vierten Mal ihr „Entschuldigung“ quer durch den Laden knallt, weil sie meint, dass diese dunklen Stellen am Boden ihrer Pizza Funghi doch wirklich ganz verdammt nach Krebsgefahr aussehen, kann ich Gisela gerade noch davon abhalten, sich in der Minestrone zu ertränken. „Kein Wunder bei einem Holzkohleofen“ sollten eben nicht unbedingt ihre letzten Worte sein.

„Gibt es etwas Schöneres, als so richtig nett zusammenzusitzen?“, säuselt Beate schließlich, als sie ihren Espressolöffel in mein Eis rammt und die Hälfte meines Nachtischs in ihrem Mund verschwindet. Fensterputzen und „Notting Hill“ auf Endlosschleife drohe ich ihr still als Strafe an. „Die Sahne …“, sage ich stattdessen. „Och, das bisschen“, unterbricht mich Beate und beginnt einen Vortrag über Eiweißverbindungen. Wild entschlossen schreit Gisela nach Grappa.

„Sag mal, Beate“, gurrt sie dann mit erhobenem Glas, „die roten Flecken auf deiner Nase – waren die vorhin auch schon da?“ Ich kann nichts entdecken. „Flecken?“, kreischt Beate und flüchtet zur Toilette. „Wirklich schön, so zusammenzusitzen, oder?“, prostet Gisela mir zu.