Die Leute vom Asadiplatz

IRAN Der Journalist Ulrich Ladurner begleitet in „Küss die Hand, die du nicht brechen kannst“ die Bewohner Teherans durch ihren Alltag und schärft so den Blick auf die heutige Lage des Landes

Wir erfahren von der schönen Robabeh, die allen den Kopf verdreht und eine denkwürdige Entscheidung trifft: Sie studiert Jura, wird Stadträtin und konfrontiert sich mit dem damaligen Bürgermeister Teherans, Ahmadinedschad

VON NAJEM WALI

Der Iran ist ein unberechenbares Land, facettenreich und geheimnisvoll. Es gibt kaum einen Tag, an dem der Name dieses Landes nicht in den Nachrichten auftaucht und seine Erwähnung hier für Unruhe sorgt. Mal im Zusammenhang mit dem Bau einer Atomanlage, mal im Zusammenhang mit dem Konflikt in Syrien, weil der Iran im syrischen Assad einen Verbündeten sieht. Aber was wissen wir über die Menschen dort, in deren Namen die iranischen Machthaber, sei es in Gestalt des bis 2. Februar 1979 regierenden Schahs, des archaischen religiösen Führers Ajatollah Chomeini oder in Gestalt des jetzigen iranischen Präsidenten, Ahmadinedschad, mit seinen Hasstiraden agieren?

Der Journalist Ulrich Ladurner will es uns leichter machen. Aus Liebe zu seinem iranischen Freund Amad machte er sich auf den Weg in den Iran, um das Land und seine Menschen zu verstehen. Er besuchte Amad, der in der Millionenstadt Teheran lebt, und bat ihn, ihm den Platz zu zeigen, an dem er aufgewachsen ist. Egal ob die Geschichte mit dem Freund nur eine Erfindung oder real ist, es gelingt Ladurner, unsere Neugierde zu wecken. Asadiplatz soll der Platz heißen. In Wirklichkeit aber heißt er anders. Dennoch gibt es den Platz, und die Geschichten sind nach dem Vorbild seiner Bewohner geschrieben. Ihre Schicksale dienten dem Autor als Inspiration.

Wir erfahren vom Ladenbesitzer Amir, der nach seiner Pilgerfahrt nach Mekka zum Heiligen Hadschi wird; vom Fabrikanten Baba Zede, der mit skeptischem Auge jede Scheinheiligkeit seiner Nachbarn registriert; von der hinkenden Frau, die allein in ein Haus einzieht und in Verruf gerät; von der schönen Robabeh, die allen den Kopf verdreht und eine denkwürdige Entscheidung trifft: Sie studiert Jura, wird Stadträtin und konfrontiert sich mit dem damaligen Bürgermeister Teherans, Ahmadinedschad; von Abbas, dem Trinker, der zum Mörder wird; von Dawud, dem Savak-Geheimdienstler; von Fatimeh, der religiösen Eiferin, die für Chomeini alles tun würde; von den drei jungen Männern, die völlig unterschiedliche Lebenswege einschlagen: Der Erste wird später als Wächter bei einer Atomanlage arbeiten, der Zweite bei der berüchtigten Revolutionsgarde, der Basidschi. Der Dritte, der zufälligerweise auf Marx und Nietzsche stieß, wird in die Armee eingezogen, im Krieg an die irakische Front geschickt und wird schließlich Sozialist, bevor er ins Exil geht.

Die Zeitspanne, in der all diese Geschichten spielen, erstreckt sich über ein halbes Jahrhundert iranischer Geschichte. Sie beginnt mit der Herrschaft des Schahs, erzählt, wie die Iraner unter ihm litten, berichtet über die Revolution des Volks und wie diese Revolution von den Mullahs gestohlen wurde, bis hin zum Krieg mit dem Irak und zum Iran heute.

Aus Liebe zu Amad

Es gibt Bücher, die mit guten Absichten geschrieben werden. Eines davon ist dieses. Die Liebe zu seinem Freund hat der Südtiroler Ladurner auf die Geschichten übertragen. Sicher hat Ladurner auch versucht, darin historischen Fakten und persönliche Schicksale zu verweben. Fakt aber ist, dass seine Sympathie für die an seinem erfundenen Asadiplatz lebenden Menschen ihn hie und da vergessen lässt, dass die dort sprechenden Personen einfache Leute sind, die nicht in Form einer gehobenen Sprache über Gott und die Welt philosophieren können.

Wie der querschnittsgelähmte Mohsen etwa, der „seine eigene Lähmung als Metapher für die Tragik seines Volks“ (S. 126) empfindet. Oder ein ungebildeter Machmud, der in einer Formel auf einem Zettel den Plan für „eine Atombombe“ (S. 232) entdeckt. Oder die Hausfrau Fatimeh, die „die ruhige Kraft dieses Mannes [Chomeini]“ spürt, „sein messianischer Eifer hatte sie angesteckt“ (S. 121)! Eine schiitische Frau denkt sicher zuerst an Imam Alis Eifer, nicht an den des Messias! Auch endete der Irak-Iran-Krieg am 20. August 1988, nicht im Juli, wie es im Buch steht (S. 166). Aber das nur für die Faktenfreaks unter den Lesern.

„Geschichten aus Teheran“ ist kein trockenes, politisch nüchternes Buch. Neben dem Politikwissenschaftler und Historiker tritt darin vor allem der Mensch Ladurner auf. Durch den Alltag hindurch die Menschen zu begleiten, ihre Schicksale zu erfahren schärft den Blick auf den heutigen Iran. Gibt es auf Politik eine bessere Antwort, als Geschichten von Menschen zu erzählen? Kaum. Und das ist gut so.

UIrich Ladurner: „Küss die Hand, die du nicht brechen kannst. Geschichten aus Teheran“. Residenz Verlag, St. Pölten 2012, 256 Seiten, 21,90 Euro